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Einzug von Vizekönig Morcillo in Potosí

Entrada Virrey Morcillo en Potosi

Entrada Virrey Morcillo en Potosi
Bildquelle: Museo de América, Madrid, Inv. No. 00087

Die soziale Funktion kolonialer Prozessionen zeigt sich am Beispiel von Melchor Pérez de Holguíns Gemälde vom Einzug von Vizekönig Morcillo in Potosí.

Die Stadt Potosí im heutigen Bolivien verdankt ihre Existenz den nahegelegenen Minen des Cerro Rico. Einer Legende zufolge entdeckte hier 1545 ein Lamahirte durch Zufall die Silbervorkommen, was einen Silberrausch im ganzen Vizekönigreich Peru auslöste. 1572 gründete Vizekönig Francisco de Toledo daher offiziell die Stadt Villa Rica de Potosí, die zu dem Zeitpunkt bereits ein geschäftiges Zentrum darstellte. Um 1600 zählte die Stadt zwischen 60.000-85.000 Einwohner und wuchs, ohne zu den kolonialen Hauptstädten zu zählen, zu einem der größten urbanen Zentren im spanischen Amerika. Die unglaublichen Silbervorkommen im Cerro Rico wurden maßgeblich dafür genutzt, die spanische Herrschaft in Europa zu finanzieren, während die Mehrheit der Bevölkerung Potosís kaum oder gar nicht davon profitierte.

Potosí in Bolivien mit dem Cerro Rico im Hintergrund

Potosí in Bolivien mit dem Cerro Rico im Hintergrund
Bildquelle: Eric Endacott

Der Silberabbau war zudem äußerst gefährlich, und die Zwangsarbeit der mita und die damit verbundenen harten Arbeitsbedingungen kosteten zahlreichen Arbeitern das Leben. Die spanische Krone war daher stark auf die Mithilfe der lokalen Kaziken angewiesen, die die Minenarbeit reglementierten, und bei der kolonialen Verwaltung halfen. Diese Abhängigkeit spiegelte sich auch in der Akzeptanz einer Teilnahme der indigenen Oberschicht am öffentlichen Leben Potosís wieder.

Das vorliegende barocke Gemälde dokumentiert den Empfang, den die Stadt Potosí am 25. April 1716 dem neu ernannten Vizekönig, Erzbischof Don Diego Morcillo Rubio y Auñon, ausrichtete. Koloniale Vizekönige wurden bei ihrer Ernennung überall im Lande mit prunkvollen Festen empfangen, die auch den Reichtum der ausrichtenden Stadt und ihre Loyalität gegenüber Spanien demonstrieren sollten. Die mächtigen Bergwerksbesitzer Potosís scheuten daher keine Kosten für das Fest, wollten sie doch darüber hinaus den eintreffenden Vizekönig davon überzeugen, neues Quecksilber für den Silberabbau zu entsenden und die erschöpften indigenen mita-Arbeiter durch neue zu ersetzen. Die durch die Festausrichtung entstandene Schuldenlast erwies sich jedoch bald als Fehlinvestition, da Morcillo sich nur für kurze Zeit an der Macht halten konnte.

Einzug von Vizekönig Morcillo in Potosí Inschrift

Einzug von Vizekönig Morcillo in Potosí Inschrift
Bildquelle: Museo de América, Madrid, Inv. No. 00087

Das Ereignis in Potosí wurde zeitgleich zum Gemälde in der Chronik eines Augenzeugen namens Bartolomé Arzáns de Orsúas y Velas detailliert beschrieben, die uns hilft, das Dargestellte besser zu verstehen. Der Zeremonie wohnten augenscheinlich alle Mitglieder der vielschichtigen kolonialen Gesellschaft der Minenstadt entweder als Zuschauer oder Akteure bei. Eine detaillierte Inschrift zählt, ebenso wie Arzáns Chronik, die teilnehmenden zivilen und kirchlichen Autoritäten und den Stifter des Werkes auf, den Neffen des Erzbischofs namens Don Pedro Mexia y Morcillo.

Vizekönig Morcillo unter dem Baldachin

Vizekönig Morcillo unter dem Baldachin
Bildquelle: Museo de América, Madrid, Inv. No. 00087

Der Maler verwendete wie so viele koloniale Künstler europäische Stiche als Vorlage für seine zahlreichen Detailszenen. Den Hintergrund der Szenerie bildet die Stadt Potosí, mit dem Cerro Rico in der oberen rechten Ecke des Gemäldes. Das Bildzentrum wird durch die Prozession des Vizekönigs bestimmt, der unter einem Baldachin kurz nach dem Durchschreiten eines Triumphbogens zu sehen ist, wie sie typischerweise für solche Prozessionen angefertigt und errichtet wurden. Er wird begleitet von reich geschmückten Offizieren, Musikern und einer Infanterie.

Die bunten Ausschmückungen der Stadt mit Wandteppichen und Gemälden, die Szenen aus der griechischen Mythologie zeigen, harmonieren mit der Darstellung der komplexen multiethnischen Gesellschaft Potosís. Zu sehen sind Stadtbewohner unterschiedlichen Alters und Herkunft, wie traditionell gekleidete Indigene, Mestizen und Afrikaner, die das Geschehen von den Dächern der Häuser beobachten, sowie Soldaten und Höflinge unterschiedlicher ethnischer Zugehörigkeiten, die vor der Prozession einherschreiten. Die ganze Darstellung erscheint dabei äußerst lebendig, ein Eindruck, der von den häufig eingeführten Spruchbändern verstärkt wird, die z.B. Lobbekundungen der Zuschauer angesichts des prächtigen Spektakels wiedergeben.

Feierlichkeiten im nächtlichen Potosí

Feierlichkeiten im nächtlichen Potosí
Bildquelle: Museo de América, Madrid, Inv. No. 00087

Arzáns Chronik beschreibt, wie das pompöse Fest zwei Tage lang andauerte und mit Stierkämpfen, Maskenumzügen, Theateraufführungen usw. ausgeschmückt wurde. Zwei in das Gemälde eingefügte Bildfelder illustrieren diverse Elemente des Festes: Im oberen linken Feld stellte Holguín den Einzug der Prozession auf den Hauptplatz Potosís unter der Beteiligung von Repräsentanten verschiedener christlicher Orden, Vertretern der Gilden und Mitgliedern des Stadtrates dar. Rechts sehen wir denselben Platz nachts, mit einem lebhaften Maskenspiel, das von den städtischen Minenarbeitern dargestellt wurde und zur Unterhaltung der Kolonisten der Oberschicht diente. In Übereinstimmung mit Arzáns Chronik sehen wir eine Prozession von verkleideten historischen und mythologischen Figuren, bestehend aus Türken, Äthiopiern und Inkaadligen, ebenso wie einen Wagen mit einer Miniatur des Cerro Rico und Kindern, die den Erzbischof, Engel, eine Inkaprinzessin und einen indigenen Minenarbeiter mimen.

Ungewöhnlich an dem Gemälde ist das Vorhandensein der Signatur des Malers Melchor Pérez de Holguín, der sich zudem selbst im Zentrum des Bildes als dunkelhäutigen Mestizen porträtierte. Damit stach er aus der Masse der zumeist anonymen kolonialen Künstler heraus. Das spricht für die Etablierung mestizischer Maler in der Kolonialgesellschaft und die Bedeutung von Holguín als prominenten Vertreter der berühmten Malschule von Potosí.

Insgesamt konstruieren die auf dem Gemälde dargestellten Charaktere ein ideales Bild der sozialen Ordnung. Jede Person in diesem Geschehen verkörpert durch ihre Kleidung und ihr Verhalten ihre Zugehörigkeit und ihre Befürwortung der ethnischen und wirtschaftlichen Hierarchie des kolonialen Amerika.

 

Peggy Goede