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Kulturkongress von Havanna

Knapp vier Monate nach dem Tod von Che Guevara im bolivianischen Dschungel trafen sich auf Einladung von Fidel Castro in Kuba fast fünfhundert Kulturschaffende, Intellektuelle und Befreiungskämpfer aus aller Welt zu einem Kongress über die Rolle der Kultur im Dienst künftiger Revolutionen. Eine Woche lang, vom 4. bis 11. Januar 1968, diskutierten prominente Literaten wie der Argentinier Julio Cortázar, der Deutsche Hans Magnus Enzensberger, der Uruguayer Mario Benedetti oder der Mexikaner David Álvaro Siqueiros mit Delegierten von antikolonialen Bewegungen aus Ländern wie Guinea, Martinique, Südvietnam, Syrien, Mali oder Algerien. Der 62-jährige Jean-Paul Sartre, der wegen einer Arthritis-Attacke nicht persönlich teilnehmen konnte, schickte eine Grußbotschaft: „Ich bitte Sie, meinen Brüdern aus Afrika, Lateinamerika und Asien auszurichten, dass ihre Arbeit meine volle Solidarität hat und ich den Kongress für eine historisches Ereignis halte”. Das Medieninteresse war groß, hundertzehn akkreditierte Journalisten aus vierzig Ländern berichteten von dem kulturrevolutionären Gipfeltreffen. Man bildete Arbeitsgruppen zu Themen wie Neokolonialismus und kulturelle Unabhängigkeit, die Rolle der Intellektuellen, Massenmedien, ganzheitliche Bildung, Kunst, wissenschaftliche und technologische Entwicklung. Das politische Spektrum war denkbar weit: Surrealisten und Trotzkisten, Friedensbewegte und Guerilla-Vertreter, Freudianer, Katholiken und Kommunisten nahmen teil. In seiner Abschlussrede erinnerte Castro an das heldenhafte Beispiel des revolutionären Intellektuellen Che Guevara und rief zum antiimperialistischen Kampf gegen den Krieg der USA in Vietnam auf. Diese Einigkeit war jedoch von kurzer Dauer. Spätestens im August 1968, als der máximo líder die brutale Niederschlagung der Prager Studentenbewegung durch sowjetische Panzer begrüßte, spaltete sich die Kulturlinke Europas und Lateinamerikas – der Traum eines vom Sowjetimperium unabhängigen Sozialismus schien ausgeträumt.

Gintare Malinauskeite / Anne Huffschmid