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Interview mit Barbara Potthast

Barbara Potthast: Transkription des Interviews

K. - Hallo Frau Potthast, herzlichen Dank, dass Sie heute hier sind und sich bereit erklärt haben, mit uns das Interview zu führen im Rahmen unseres Seminars "Genderkonstruktionen in Lateinamerika". Wir haben einige Fragen in diesem Seminar für Sie vorbereitet und ich würde direkt mal mit dem Interview anfangen. Sie sind ja Historikerin mit dem Schwerpunkt Gender und Lateinamerika und wir wollten gerne von Ihnen wissen, wann und aus welchem Antrieb heraus Sie sich dafür entschieden haben, sich auf dieses Feld der Geschlechterforschung zu fokussieren.

B. P. - Ja, herzlichen Dank für die Einladung. Ich freue mich hier zu sein. Um gleich mit den Fragen zu beginnen: Also mein Interesse für Genderforschung hat sich im Laufe des Studiums entwickelt und ich habe mich darauf fokussiert etwa Mitte der 80er Jahre, als sich einfach zeigte, dass Genderforschung ein ganz spannendes innovatives Forschungsfeld ist, auf dem gerade für Lateinamerika noch sehr wenig gemacht worden war, und das hat mich fasziniert. Auf der anderen Seite habe ich mich auch für das Thema interessiert, weil ich gemerkt habe gender matters, für mich persönlich als Forscherin, aber auch sozusagen innerhalb der Geschichtsschreibung.

 

K. - Und gab es hier besondere Wissenschaftler/innen oder Autoren/innen, die Sie in gewisser Weise geprägt haben oder die Sie interessant fanden, die Ihnen dabei geholfen haben auf diesem Weg, sozusagen, zu diesem Thema hinzufinden?

B. P. - Ja, welche Persönlichkeiten ist schwer zu sagen. Ich könnte nicht eine Person nennen, oder nicht zwei. Aber es gibt natürlich eine ganze Reihe von Personen, die mich geprägt und auch sehr unterstützt haben. Auf der einen Seite sind das natürlich Forscherinnen aus Deutschland gewesen, die zu Genderfragen gearbeitet haben, Karen Hausen, vor alledem Gisela Bock, mit der ich dann auch das Glück hatte, zeitweilig in Bielefeld als Kollegin zusammen zu arbeiten und die auch schon Fragen von Intersektionalität wenn auch nicht unter diesem Stichwort bearbeitet hat. Dann hat mich recht stark geprägt die historische Demographie, die zu dieser Zeit auch ein neues Forschungsfeld war, weil man durch die Entwicklung von Computertechnologie jetzt auch historisch ganz anders Quellen bearbeiten konnte, und hier habe ich sicherlich die Unterstützung einiger Kollegen wie Robert McKay sehr gebraucht. Und die Familiengeschichte ist ein Feld, was mich auch sehr geprägt hat und was ganz zentral war, auch hier wiederum verschiedene Einflüsse, also Peter Leslet. In Deutschland vielleicht Alf Lüdtke oder Tamara Hareven, aber auch Pilar Gonzalbo aus Mexiko.

 

K. - Sie haben ja vor allem zu Paraguay und Argentinien gearbeitet und geforscht. Wie kam denn dieses spezifisch regionale Interesse zustande? Wie kamen Sie dazu?

B. P. - Also ich habe in meiner Dissertation zu Zentralamerika gearbeitet und dann muss man im deutschen System sich einen anderen Schwerpunkt suchen. Es lag aber auch daran, dass ich auch tatsächlich um diesen Kontinent besser kennenzulernen jetzt, sozusagen, mir eine andere Region suchen wollte. Mein Blick fiel dann so ein bisschen auf den Cono Sur und Paraguay als Schwerpunkt hat sich eigentlich daraus entwickelt, dass mein Doktorvater zu Paraguay gearbeitet hat und ich dadurch sozusagen mit dem Thema ein bisschen vertraut war und auch hier wieder ein Land fand mit einer spannenden Geschichte gerade im 19. Jahrhundert, die aber gar nicht wirklich wissenschaftlich bearbeitet war. Und die beiden Dinge in Kombination haben mich dann zum Thema geführt.

K. - Uns würde dann noch interessieren, welche Rolle Sie persönlich den Genderstudies in der geschichtswissenschaftlichen Forschung zusprechen und vor allen Dingen, welchen besonderen Beitrag dieser regionale Fokus auf Lateinamerika in dem Feld der Geschichtswissenschaften leistet.

B. P. - Vielleicht erstmal zur Rolle von Genderstudies in den Geschichtswissenschaften. Ich denke, die Genderstudies haben einige Strukturen aufgebrochen in der Geschichtswissenschaft, gerade auch in Deutschland oder Europa auch in der Sozialgeschichte, die, als ich studiert habe, noch relativ stark in Strukturen, in Klassenfragen verhaftet war und ja vielleicht sogar auch einen kleinen Disput mit Tendenzen der historischen Anthropologie der Alltagsgeschichte hatte. Die Genderstudies haben eigentlich dazu beigetragen, diese beiden Dinge miteinander zu verknüpfen. Ich glaube, da ist einfach zu sagen, das sind neue Themen. Auch Kulturgeschichte in neuem Gewand ist über die Genderstudies, glaube ich, dann wieder ins Blickfeld der Historiker gerückt. Zu Lateinamerika denke ich, dass das Wichtigste vielleicht daran liegt, dass Lateinamerika nicht nur bei den Genderstudies ein Feld ist, wo man viele Theorien und Aussagen, die zu Europa oder USA, die da entwickelt worden sind, und die dann letztlich immer für allgemeine Aussagen gehalten werden, überprüft werden können. Lateinamerika ist europäisch geprägt, aber doch anders, und hier kann man in vielen Bereichen, sozusagen, diese Theorien oder diese Ansätze kritisch überprüfen und modifizieren.

K. - Vielen Dank. Wo sehen Sie denn aktuell heutige Herausforderungen in der deutschen Lateinamerikaforschung? Was fällt Ihnen da ein?

B. P. - Also als Wichtigstes würde ich vielleicht sagen, wir müssen uns im Rahmen der Globalgeschichte positionieren. Sozusagen einerseits mitmachen, anderseits auch abgrenzen, und auch im Rahmen der Globalgeschichte ist Lateinamerika immer so ein Kontinent, der nicht zu ganz so vielen Themen passte und immer ein bisschen herausfällt.

K. - Glauben Sie denn, dass es besondere Beiträge oder Herausforderungen gibt in der Forschung zu Frauen in Lateinamerika und ihre Rolle in der Geschichte?

B. P. - Also historisch haben wir natürlich immer das Problem der Quellen. Das haben wir auch für die europäische Geschichte, aber wir haben natürlich für Länder wie lateinamerikanische Staaten, die häufig kein sehr gutes und ausgeprägtes Archivwesen haben, wenn es zum Beispiel wie in Paraguay aber wie auch vielen indigenen Kulturen eigentlich erstmal keine Schriftkulturen sind, ganz andere Herausforderungen, was die Quellenbasis angeht.

K. - Anknüpfend an diese Quellen haben wir uns auch gefragt, also jetzt insbesondere bei geschichtlichen Quellen wie zum Beispiel Zeitungsartikeln ist uns aufgefallen, dass diese vorwiegend aus Männerperspektive berichten, und wir haben uns gefragt: Was sind da die besonderen Herausforderungen bei dem Versuch, die Quellen mit einer Genderperspektive sozusagen “gegen den Strich zu lesen”?

B. P. - Ja, auch das Problem haben wir nicht nur in Lateinamerika. Also auf der einen Seite muss man, was man bei jeder Quelle macht, natürlich den Standort des Autors, die intendierte Aussage und so weiter, untersuchen und vielleicht im Falle von genderbasierten Quellen noch ein bisschen kritischer und gründlicher. Ich denke aber auch: Man muss alternative Quellen suchen, und hier innovativ sein. Und dann kombinieren, sozusagen, die verschiedenen Quellengattungen kombinieren, und zum Teil auch zum Beispiel qualitative und quantitative Quellen miteinander kombinieren, weil man darüber manchmal zu ganz überraschenden Ergebnissen kommt.

K. - Unter uns Studierenden ist uns aufgefallen, dass wir sehr oft die Debatte der Selbstpositionierung haben, also in dem Sinne, dass wir uns am Lateinamerikainstitut oft fragen, wo wir stehen mir unserer Perspektive, mit unserer Selbstpositionierung als Lateinamerikaforschende aus dem globalen Norden. Wie gehen Sie denn in Ihrer Forschung mit dieser Position um?

B. P. - Also, wenn ich mit einer Forschung beginne, findet ja die Materialsuche und auch sozusagen die erste Fokussierung eigentlich immer in Lateinamerika selber statt. Und ich versuche eigentlich als Allererstes, mit den Kollegen vor Ort zu sprechen, viel zuzuhören und nicht gleich mit klaren Vorstellungen und Meinungen zu kommen. Und dann, sozusagen in der Diskussion mit den lateinamerikanischen Kollegen, meine eigene Position zu hinterfragen oder auch zu verfestigen, aber auf jeden Fall, als Erstes einmal auch zuhören, was mir die Kollegen vor Ort sagen und was die zu meinen Fragestellungen und Herangehensweisen meinen.

k: - Sie sind ja Leiterin des Teilprojekts Köln des Kompetenznetzwerk Lateinamerika, was eine Kooperation aus fünf deutschen Universitäten ist. Dort wird ja interdisziplinär zu Themen wie ethnicity, citizenship und belonging geforscht. Inwiefern haben denn diese Kategorien, die eben genannt wurden, Ihre Forschung vor allem in Hinblick auf Gender und Lateinamerika beeinflusst?

B. P. - Also, ich denke vor allen Dingen die Frage des Verhältnisses von Staat und Gender jetzt jenseits von simplen staatsbürgerschaftlichen Rechten ist ein Thema, das ich eigentlich durch dieses Forschungsprojekt als ein sehr spannendes empfunden habe. Und inzwischen gibt es ja auch eine Reihe von Untersuchungen, die zeigen, wie zum Beispiel Staatsbildungsprozesse oder auch die Prozesse von Bildung kollektiver Identitäten wie auch Ethnizität immer auch sehr stark mit Genderprozessen zusammenhängen und ja, das ist glaube ich das, was ich am wichtigsten aus diesem Projekt, sozusagen, gelernt habe.

K. - Dazu anknüpfend haben wir uns mit dem Konzept der ciudadanía beschäftigt und wir würden gerne eben hier ein bisschen mehr noch auf das Inhaltliche eingehen. Also was ist dann aus historischer Perspektive das Besondere an dieser lateinamerikanischen Form der Staatsbürgerschaft und was kann eine Genderperspektive zur ciudadanía diferenciada beisteuern?

B. P. - Ja, zunächst einmal ganz allgemein für Lateinamerika kann man hier eben sehr schön sehen, dass es nicht zu einer, sozusagen, allgemeinen Ausweitung der Staatsbürgerrechte kommt, wie wir ja gerne glauben und wie man auch so im Hinblick auf die Französische Revolution und dann die immer weitere Demokratisierung bis hin zum Frauenwahlrecht sehen kann, also diese Erfolgsstory, sondern man kann eigentlich in Lateinamerika sehen, dass von einem zunächst breiten Staatsbürgerschaftsbegriff in vielen Ländern das dann verengt wurde und dann unter großen sozialen Kämpfen auch wieder erweitert wurde. Vielleicht um auf die ciudadanía diferenciada zu kommen, kann man hier sehr schön diese Fiktion sehen, die ja hinter dem Ciudadanía-Konzept steckt; alle Staatsbürger seien prinzipiell gleich, ist natürlich in Gesellschaften wie den lateinamerikanischen, in denen so große soziale und ethnische Differenzen bestehen, noch sehr viel deutlicher zu greifen, und ich glaube da bietet Lateinamerika einfach ein ganz spannendes Forschungsfeld. Gender bringt dann nochmal mehr Komplexität hinein, und Gender ist glaube ich auch der Punkt, der immer wieder die sogenannte Intersektionalität zeigt, also die Tatsache, dass sich verschiedene Identitätszuschreibungen und Positionierungen wie Ethnizität, wie Gender, wie aber auch Klasse gegenzeitig verstärken, aufheben und in vielfältiger Weise miteinander agieren, und das kann man eben in Lateinamerika aufgrund dieser starken Differenzen vielleicht sehr viel genauer fassen oder jedenfalls gut untersuchen.

K. - Vielen Dank für die ausführliche Antwort. Wir würden gerne noch etwas zur Rolle der Mutter in Lateinamerika wissen. Also, das ist ja auch eines der zentralen Themen Ihrer Forschung, und in diesem Zusammenhang stehen auch die zwei Konzepte, einmal der marianismo und einmal der machismo. Was wir gerne von Ihnen wissen würden, ist, welche Bedeutung denn weibliche und männliche Ehre in diesem Zusammenhang haben und inwieweit die Konstruktion von Genderrollen in Lateinamerika auf diesen zwei Konzepten beruht oder ob es viele weitere gibt und man das gar nicht so festschreiben kann an zwei Konzepten.

B. P. - Das ist natürlich eine komplexe Frage, ich versuche, sie kurz zu beantworten auch auf die Gefahr hin, dass ich natürlich immer generalisieren muss. Also dieser machismo und marianismo sind natürlich auch idealtypische Konzepte die aber die tatsächlich in Lateinamerika relativ starke Ausdifferenzierung der Geschlechterrollen nochmal schärfer fassen, und die sicherlich einige Aspekte hervorheben. Die Frage der Ehre ist für Lateinamerika zentral. Sie ist eigentlich auch für alle Gesellschaften zentral, auch für die europäische oder die deutsche, aber da haben wir so das Gefühl, dass ist früh neuzeitlich oder vielleicht noch im 19. Jahrhundert. Aber wenn Sie an so Dinge wie Duelle denken, dann sehen Sie, dass Ehre, auch männliche Ehre, auch in Deutschland eine ganz wichtige Rolle gespielt hat. Für Lateinamerika würde ich dann noch hervorheben, dass die Familie eine viel stärkere Rolle spielt und auch die Ehre der Familie. Und dass hier wiederum, sozusagen, kollektive Ehrkonzepte aber auch die ausdifferenzierten von männlicher und weiblicher Ehre einfach konstitutiv sind für die Rollen, die die Personen sowohl in der Gesellschaft als auch in der Familie haben. Und das hat sich in Lateinamerika eigentlich etwas stärker und länger erhalten. Aber vielleicht einfach, was wir in letzter Zeit sehen ist auch, man hat lange Zeit immer nur auf die weibliche Ehre geguckt und das als das zentrale Motiv untersucht und eigentlich in den letzten Jahren mit den ersten Studien auch zur Männlichkeit ist auch wieder die wichtige Rolle von männlicher Ehre in den Blick gerückt.

 

K. - Also innerhalb dieses Themenkomplexes und gerade weil Sie die Familienstruktur erwähnt haben, die eine zentrale Rolle spielt in Lateinamerika, haben wir uns noch mit dem Thema der alleinerziehenden Mütter in Ihrer Arbeit befasst und haben uns gefragt, inwieweit die mestizaje während der Kolonialzeit diese Familienstrukturen generiert hat und auch das Bild madre cabeza de hogar vielleicht bis heute noch prägt.

B. P. - Ein weites Feld, eine Frage, über die ich sehr lange sprechen könnte. Aber natürlich hat die ethnische, kulturelle und soziale Ungleichheit der sociedad de castas, also dieser spezifischen Prägung der spanischen Kolonialzeit dazu geführt, dass hier Beziehungen entstanden; sexuelle, emotionale, über diese Grenzen hinweg, die dann eben zumeist nicht formalisiert sind. Also zunächst einmal geht es eigentlich auch darum, dass viele Beziehungen und viele Kinder nicht in der von der Katholischen Kirche vorgesehenen Form einer Ehe entstanden sind. Und diese Beziehungen sind naturgemäß etwas fragiler, zumal wenn sie aus verschiedenen sozialen Milieus kommen. Dann ist es angesichts der Genderrollen eben häufig so, dass wenn diese Beziehungen auseinandergehen eben sehr viele Frauen diejenigen sind, die mit den Kindern dann eine eigene Familie gründen. Also insofern ist hier eine starke Wurzel dieses Phänomens in der Kolonialzeit, erklärt es allerdings nicht nur.

K. - Und passen denn überhaupt dieser weitverbreitete machismo oder diese Idee des machismos und das Bild der Frau als Oberhaupt einer Familie zusammen?

B. P. - Oh ja. Eine Frau als Oberhaupt der Familie heißt noch nicht, dass diese Frau Einfluss hat, dass sie mächtig ist, dass sie in einer guten Position ist. Im Gegenteil. Wir wissen, dass alleinerziehende Mütter im Allgemeinen große ökonomische Probleme haben, dass die Organisation der Kindererziehung sehr viel schwieriger ist und vor allen Dingen, was man bedenken muss, möglicherweise ist sie natürlich die Chefin des Hauses, aber außerhalb des Hauses bewegt sie sich in einer Gesellschaft, die patriarchalisch und männlich geprägt ist und das spielt natürlich eine wichtigere Rolle. Dann gibt es vielleicht noch eine Brücke zu dem vorhin erwähnten marianismo und machismo, denn zu diesem jetzt vielleicht etwas karikaturesk überzogenen Bild gehört es ja auch, dass ein macho, ein Mann sozusagen nicht verlässlich sein muss. Ihm werden eben sexuelle und andere Eskapaden zugeschrieben. Die stabile verlässliche Rolle spielt die Mutter und viele Frauen entscheiden dann irgendwann, wenn sie ohnehin die Verantwortung für die Kinder haben, dass sie das auch sozusagen gleich alleine machen können, weil sie dann nicht auch noch mit einem wenig zuverlässigen Mann zu kämpfen haben. Auch das ist etwas überzogen, aber erklärt vielleicht ein bisschen diese Konstellation.

K. - Wir würden gerne noch auf das Thema der Frauenbewegungen eingehen. Hierbei spielt ja die Rolle der Mutterschaft auch eine zentrale Rolle. Ist denn dieser Aspekt auch in europäischen Frauenbewegungen relevant? Was würden Sie dazu sagen?

B. P. - Natürlich spielt das eine Rolle, weil Mutterschaft ja das Leben von Frauen deutlich beeinflusst. Das von Männern auch, aber das von Frauen im Allgemeinen doch immer noch stärker. Der Unterschied liegt glaube ich darin, dass die Frauenbewegungen in Europa und in Lateinamerika unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt haben, die einerseits etwas mit ihrem Selbstverständnis zu tun haben, die aber vielleicht auch etwas mit unterschiedlichen Strategien zu tun haben. Also die Europäerinnen haben mehr auf Gleichheit gesetzt und immer wieder betont, dass sie die gleichen Fähigkeiten haben, auch zum Beispiel politisch zu denken und Ähnliches, und damit sich Rechte erkämpft. Die lateinamerikanischen Frauen haben betont, dass sie unterschiedlich sind, aber betont, dass es eben genau deswegen wichtig ist, dass sie ihre speziellen Fähigkeiten auch in die Öffentlichkeit und die Politik einbringen, und damit sind sie auch in ihrem gesellschaftlichen Umfeld relativ erfolgreich gewesen. Ich glaube, es ist eine Kombination aus strategischen Überlegungen, aber auch aus einem etwas anderen Selbstverständnis.

K. - In unserem Seminar haben wir uns gefragt, was es wohl bedeutet für Frauenbewegungen, wenn sie sozusagen in einem Kontext stattfinden, in dem Differenzkategorien wie zum Beispiel Ethnizität eine wichtigere oder übergeordnetere Rolle spielen als Genderthemen. Könnten Sie uns dazu noch etwas sagen? Sie haben das jetzt schon so ein bisschen angerissen.

B. P. - Die Frauen bewegen sich hier in einem sehr komplexen Feld von verschiedenen Zugehörigkeiten, in dem es nicht einfach ist, auch diese verschiedenen Interessen auf ein Punkt zu bringen und die Gefahr für die Frauenbewegung speziell besteht immer darin, dass der Vorwurf gemacht wird, dass man damit die Bewegung spaltet und damit die Ziele sozusagen der anderen Kategorien, sei es ethnischer, sei es klassenbasierter sozusagen torpedieren würde, in dem man Männer und Frauen auseinanderdividieren würde. Dieses Argument kommt leider immer wieder und zwingt die Frauen dann häufig, sich für die eine oder die andere Seite zu entscheiden, statt zu sehen, dass hier enge Zusammenhänge bestehen.

K. - Wir sind ja anfangs bereits auf Ihren regionalen Schwerpunkt zu sprechen gekommen und sind jetzt eigentlich auch schon fast am Ende des Interviews angekommen. Uns würde noch interessieren, wie Ihre Forschungsbeiträge denn in Lateinamerika und vielleicht vor allem in Paraguay rezipiert wurden, wie die dort aufgenommen wurden?

B. P. - Ich habe eigentlich großes Glück gehabt mit meinen Forschungen in Paraguay, denn ich habe damit begonnen und sie auch relativ kurz veröffentlicht, nachdem Paraguay nach einer sehr, sehr langen Militärdiktatur unter Alfredo Stroessner, in der natürlich auch ein ganz bestimmtes Geschichtsbild öffentlich verordnet wurde, sich im Übergang zur Demokratie auch unter anderem mit seiner Geschichte neu beschäftigen musste. Ich bin bei einigen, vor allen Dingen intellektuellen, jüngeren Paraguayern - da habe ich wirklich offene Türen eingelaufen - die sehr froh waren, dass jemand von außen kam und Themen sowohl methodisch in einer Weise behandelt hat, wie sie das bis dahin nicht konnten, als auch mit einem anderen Blick darauf schaute. Das hat natürlich nicht allen gefallen. Ich habe aber eigentlich weniger dann mit konservativen, nationalistischen Historikern zu kämpfen gehabt. Die haben es dann einfach vorgezogen, meine Aufsätze und meine Bücher zu ignorieren.

K. - Das ist auch eine Art damit umzugehen. Gut, vielen Dank. Abschließend würden wir gerne noch eine persönlichere Frage stellen, also was Sie sich denn persönlich wünschen für die Zukunft der lateinamerikanischen Gender- bzw. Geschichtsforschung auch im globalen Süden, aber genauso im globalen Norden?

B. P. Vielleicht als erstes, dass auch die Männer die Genderforschung entdecken. Das passiert bei uns allmählich, in Lateinamerika herrscht vielerorts, nicht überall, immer noch die Vorstellung vor, Genderforschung sei Frauenforschung, und gerade sozusagen die Forschungen zu Männlichkeit in Lateinamerika sind ein ganz wichtiges und auch ein spannendes Feld, auf dem es wirklich noch viel zu tun gibt. Und das andere vielleicht, dass eine stärkere Einbettung der Geschichte Lateinamerikas in die Geschichte anderer Länder, vielleicht auch in die Geschichte des globalen Südens [stattfindet] und nicht immer nur so mit dem Bezugspunkt USA oder Europa, sondern auch einmal mit dem Bezugspunkt zu anderen Ländern der Region oder auch anderer Kontinente.

 

K. - Okay, dann bedanke ich mich herzlich auch im Namen unseres Seminars für das schöne und nette Interview und für Ihre Zeit und wünsche Ihnen alles Gute.

 B. P. - Ja, herzlichen Dank, Ihnen auch alles Gute.