Forschungsfelder
Das Forschungsprogramm des IGK thematisiert Globalisierungsräume aus der Perspektive Lateinamerikas.
Um die Vielfalt der in der transnationalen Perspektive enthaltenen transnationalen, transregionalen und translokalen Ebenen und die Interaktionen und Bewegungen in den Zwischenräumen besser bearbeiten zu können, wurden diese in drei Forschungsfeldern gebündelt und systematisch erfasst. Diese Forschungsfelder orientieren sich am Raum, der über unterschiedliche Ansätze definiert und analysiert wird. Gemeinsam ist diesen Ansätzen das Interesse an bisher vernachlässigten sozialen Zwischenräumen.
Räume der Vernetzungen
Im ersten Forschungsfeld konzentrieren wir uns auf Räume der Vernetzungen. Hier steht das Element der Bewegung im Zentrum der Betrachtung. In Anlehnung an Appadurais Begriff der „Scapes“ und Manuel Castells’ Konzept der „Räume der Ströme“ werden die Akteure und Strukturen dieser Vernetzungen durch die Fokussierung auf die ihnen zugrunde liegenden Bewegungen untersucht. Dabei erweitern wir die Ansätze von Appadurai und Castells um die von globalhistorischen Ansätzen herausgearbeitete Erkenntnis, dass sich Phasen der Intensivierung von Vernetzungen stets mit Phasen von Brüchen und Distanzierungen abwechselten. Damit wird die Vorstellung von sich linear verdichtenden Räumen beziehungsweise sich stetig intensivierenden Verbindungen hinterfragt.
Im Einzelnen stellen sich dabei im Forschungsfeld folgende Fragen:
Welche Vernetzungen bilden sich durch Bewegungen und Interaktionen zwischen unterschiedlichen Räumen und worin liegt ihre historische Bedeutung?
Welche Verdichtungspunkte und Schaltstellen bilden sich in diesen Prozessen heraus?
Wie wird innerhalb von Netzwerken kommuniziert und wie finden kulturelle Übersetzungsleistungen statt?
Welche Logiken leiten die Interaktion zwischen verschiedenen Orten und Akteuren sowie deren Praktiken der In- und Exklusion?
Was macht Vernetzungen erfolgreich und aus welchen Gründen scheitern sie?
Ein Untersuchungsschwerpunkt im ersten Forschungsfeld sind die unterschiedlichen Formen der Bewegung. Dabei interessieren uns insbesondere die seit dem Beginn der Neuzeit für die Einbindung Amerikas konstitutiven Handels- und Finanzströme, Migrations- und Reisebewegungen sowie die Wissens- und Kulturtransfers.
Räume des Lokalen
Entstehung und Popularisierung des Begriffs ‚Glokalisierung‘ haben deutlich gemacht, dass das Globale und das Lokale keine Gegensätze, sondern zwei notwendige Seiten ein und desselben Phänomens darstellen. Stärker als im ersten Forschungsfeld steht deshalb hier die Perspektive von global agierenden Akteuren auf lokaler Ebene im Mittelpunkt der Untersuchungen, wobei deren Bewegungen für die Konstituierung der Räume des Lokalen, verstanden als Zwischenräume, zentral bleiben.
Globale Strukturen greifen nicht nur in die Mikroebene des Lokalen und das Alltagsleben der Individuen ein, lokale Akteure beeinflussen umgekehrt auch globale Konstellationen. Das heißt, dass sich globale Strukturen letztlich über lokale Aushandlungen und Transaktionen ergeben. Hier interessiert insbesondere der lokale Umgang mit Formen der Globalität und deren Bedingungen, etwa durch Anpassung, Abgrenzung und Differenzierung gegenüber dem Globalen, z.B. in Form von Erfindung und Betonung von Traditionen und bestimmten Sichtweisen von lokaler Kultur.
Die Betonung kultureller Differenz, das Beharren auf Eigenständigkeit wurde im Lauf der Geschichte wiederholt durch zunehmende globale Interaktionen verstärkt. Auf Prozesse der Deterritorialisierung folgten häufig Tendenzen erneuter Territorialisierung. In den Räumen des Lokalen manifestieren sich deshalb die einzelnen Stränge der komplex verwobenen Globalisierungsprozesse in konkret sichtbarer Weise. Hier werden die gesellschaftsverändernde Macht, aber auch die Grenzen der globalen Vernetzung sowie der spezifische Umgang lokaler Akteure gegenüber Globalisierungsphänomenen deutlich.
Folgende Fragen werden in diesem Forschungsfeld verfolgt:
Wer sind die Akteure der offenen und verdeckten Globalisierungsprozesse auf der Ebene des Lokalen?
In welcher Weise sind diese Akteure an der Globalisierung beteiligt und wie organisieren sie sich dafür?
Wie verändern sich dadurch ökonomische Beziehungen, soziale Bindungen, kulturelle Produktionen und politische Praktiken und somit die lokale Topographie der Macht?
Welches sind die sozialen, politischen und kulturellen Reaktionen und Effekte, die die Räume des Lokalen als Zwischenräume gestalten?
Die Untersuchungsschwerpunkte des zweiten Forschungsfelds sind Mikroräume der Globalisierung. Versteht man Globalisierung als Prozess zunehmender Integration, so treten mit der Perspektive des Lokalen vielfach fragmentierte Räume in den Mittelpunkt. Erklärungen über Funktionalität oder Dysfunktionalität in Bezug auf die Bereitstellung grundlegender gesellschaftlicher Funktionen lassen sich für solche Räume oftmals nicht mehr mit einer Analyse ausschließlich der Räume des formal gültigen wirtschaftlichen oder politischen Systems erreichen. Erst durch die Untersuchung der transnationalen Vernetzungen und der Bildung grenzüberschreitender lokaler Räume werden die Wirkmechanismen und Dynamiken dieser Räume verständlich. Dabei werden nicht nur Staatsgrenzen, sondern auch sozialräumliche Grenzen innerhalb von Staaten in den Blick genommen.
Räume der Vorstellungen
Henri Lefebvre führte in seiner klassischen Studie zur „Produktion des Raums“ (1974) die Analysekategorie der „Räume der Repräsentationen“ im Sinne „komplexer Symbolisierungen und Imaginationsräume“ durch Zeichen, Codes und Symbole ein. Im Forschungsfeld Räume der Vorstellungen gehen wir über Lefebvre hinaus, indem Ebenen untersucht werden, in denen Raum einerseits symbolisch repräsentiert, andererseits auch durch Wissen und Zeichen – Karten, Architekten oder Raumplanung – strukturiert und schließlich durch Medien vermittelt wird.
Diese Konzeption basiert auf dem Verständnis, das Räume über Wahrnehmung erzeugt sieht. Es geht im Forschungsprogramm also um die symbolische, die kognitive und die mediale Repräsentation von Räumen durch mündliche, schriftliche und bildliche Zeichen. Dieser Forschungsbereich untersucht die Entstehung und Bedeutung dieser imaginierten Räume in den drei Hochphasen der Globalisierung. Die Elemente der Bewegungen und der Akteure sind auch in diesem Zusammenhang von zentraler Bedeutung, geht es doch um Räume, die sich durch ihre Dynamik auszeichnen, und um die Frage, von wem diese konstruiert werden. Aus dieser Perspektive lassen sich sowohl politische und wirtschaftliche wie auch künstlerisch-performative Repräsentationen betrachten.
Mit folgenden Forschungsfragen werden die Räume der Vorstellungen untersucht:
Welche Aushandlungsprozesse führen zu neuen Raumkonstruktionen und -repräsentationen? Wie verbreiten sich kollektive Raumvorstellungen über Grenzen hinweg?
Durch welche Akteure, auf welche Art und aus welcher Motivation werden Räume der Vorstellungen konstruiert? Welche Medien tragen zur Verbreitung der Raumvorstellungen bei?
Welche Reformulierungen, Brüche und Kontinuitäten lassen sich im historischen Vergleich erkennen?
Wie werden Zwischenräume konzeptualisiert, die Konzepte abgeschlossener Nationen und Kulturen (Behälter-Konzepte) überschritten?
Im Mittelpunkt des Forschungsfelds Räume der Vorstellungen steht die Untersuchung der Wahrnehmungen und Repräsentationen von verschiedenen Raumkonstruktionen in den Amerikas sowie der Beziehungen zwischen diesen vorgestellten Räumen. Hier interessieren sich die Forscher besonders für Kommunikations- und Identifikationsprozesse anhand von Raummetaphoriken, die quer zu bestehenden, oftmals homogenisierenden Raum-Kultur-Behältern verlaufen.