Die Altäre der Nordküste Perus
Altar, Tucumé, Provinz Lambayeque, Peru. © Aline Luque
Zentraler Bestandteil der traditionellen Zeremonialmedizin an der Nordküste Perus sind Altäre, so genannte mesas. An ihnen werden nächtliche Heilzeremonien abgehalten. Diese rituellen Heilzeremonien an der Nordküste sind sehr lebendig und repräsentieren ein abstraktes System von magisch-religiösem Wissen, welches tief in einer andinen Kosmologie verwurzelt ist. Dieses Wissen beruht auf einer alten Tradition und wurde über die Jahrhunderte an die nachkommenden Generationen überliefert. Die Heiler, so genannte curanderos, verwenden neben dem Altar auch Kräuter und andere Substanzen. Zusammen mit dem San Pedro-Kaktus, der eine starke psychedelische Wirkung hat, wird der Patient während der Zeremonie von seinen psychischen und physischen Krankheiten geheilt. Weitere Tätigkeiten des Heilers sind zum Beispiel, verlorene oder gestohlene Gegenstände zu lokalisieren, Weissagungen zu machen, Segnungen und Schutz auszusprechen oder Liebesmagie zu vollziehen und aufzulösen. Der Altar dient dazu, dem Heiler Kraft und Energie aus der spirituellen Welt zu verleihen und den Patienten von seinen konditionierten sozialen Beziehungen zu befreien. Grundlegend für eine erfolgreiche Heilung ist die Wiederherstellung des Gleichgewichts von Beziehungen jeglicher Art. Die Altäre bestehen aus einem auf dem Boden ausgebreitetem Tuch und nach einer eigenen Logik aufgestellten symbolisch-rituellen Artefakten. Diese Artefakte sind sorgfältig zusammengestellte Objekte mit einer besonderen Herkunft und einem persönlichen Wert für den curandero. So können sie aus besonders kraftvoll geltenden Orten, wie Lagunen, Bergen und archäologischen Stätten (huacas), stammen oder auch Geschenke von dankbaren Patienten und befreundeten Heilern sein. Jedes dieser Objekte hat eine eigene Bedeutung und repräsentiert eine besondere Naturkraft, die durch Einnahme des San Pedro-Kaktus und im Zusammenspiel mit den anderen Objekten aktiviert wird. Der Altar stellt einen Mikrokosmos dar, den es während der nächtlichen Zeremonie auszubalancieren gilt und somit auf die reale Welt des Patienten Einfluss nimmt. Auch wenn die Altäre kein einheitliches Erscheinungsbild haben, finden sich aber häufig grundlegende Übereinstimmungen ihrer symbolischen Anordnung. Der linke Bereich wird meist mit dem Bösen, und der rechte mit dem Guten sowie den positiven und heilenden Kräften in Verbindung gebracht. Oft gibt es dazwischen einen neutralen Bereich, welcher als Mittler zwischen dem Gegensatzpaar, dem Guten und dem Bösen, also dem rechten und dem linken Feld, fungiert. Nicht nur die generelle Struktur der Altäre, sondern auch die Wahl der Objekte in den einzelnen Feldern weisen Ähnlichkeiten auf. So sind die links angeordneten Artefakte, meist Keramiken vorspanischer Zeit, Muscheln und Steine aus archäologischen Stätten, so genannte Gegenstände der Vorfahren. Das mittlere Feld kann zum Beispiel Sonnenabbildungen, Flaschen mit Kräutern als Glücksbringer, Heiligenfiguren und symbolische Steine beinhalten.
Rechter Teil des Altars. © Aline Luque
Die rechte Seite wird häufig von Elementen der christlichen Ikonographie dominiert. Hier finden sich verschiedene Heiligenabbildungen, geweihtes Wasser oder auch heilende Kräuter. Somit stellt der Altar eine Vermischung religiöser Muster, sowohl indigener als auch christlicher Herkunft dar. Die heutigen curanderos der Nordküste lassen sich in der Tradition der oquetlupuc (muchik) sehen. Die oquetlupuc waren vorkolumbische hoch spezialisierte Heiler, denen großer Respekt zuteil kam. Starb ein Patient während der Behandlung, wurde der Heiler aber dafür auch zur Verantwortung gezogen. Während der Kolonialzeit wurde die traditionelle Heilmedizin als Götzendienst von der katholischen Kirche verfolgt. Die Heilmedizin hat die christliche Symbolik in ihr System aufgenommen. Inwieweit die Verwendung des heutigen portablen Altars in den Zeremonien und seine Struktur eine Anlehnung an die christliche Altar- und Liturgiesymbolik ist, bleibt fraglich. Interessant ist aber, dass sich diese Heilpraktiken bis heute erhalten konnten. Auch hier bei den zeremoniellen Heilaltären finden sich Symbole, die sowohl die transkulturellen Austauschbeziehungen zwischen der andinen Vorstellungswelt und den nachwirkenden kolonialen Einflüßen zeigt, als auch eine Kontinuität der indigenen Weltvorstellung nachweist.
Olivera Beyer