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Retablo Ayacuchano

Retablo. "Fiesta de la Cruz, Procesión y cortejo fúnebre". Ignacio López. Holz und Paste. 1970. 49,5x43x12,5 cm. Sammlung Mari Solari. © Jürgen Golte

Retablo. Holz und Paste. © Jürgen Golte.

In den Vierzigerjahren des 19. Jahrhunderts führte der Kontakt der Altarkünstler aus Ayacucho mit Malern und Kunstsammlern aus Lima, Vertreter des Indigenismus, wie José Sabogal Wiese, zu Veränderungen in der Produktion des Sanmarkos. Auf Anregung der Indigenisten kommt es allmählich zu einem Wandel des Sujets, welches sich fortan an Alltagsszenen orientiert. Vermehrt finden sich nun Motive aus dem bäuerlichen andinen Leben, wie Stier- und Hahnenkämpfe, traditionelle Tänze und Darstellungen von Feldarbeit und Handwerk. Der Sanmarkos erfährt so eine sukzessive Säkularisierung, wird aber, ein wenig irreführend, aufgrund des Festhaltens an der tragaltarähnlichen Form von nun an retablo (Altar) genannt.

Retablo. "Músicos, Nacimiento y Reunión." Vermutlich Joaquín López Antay. Holz und Paste. Zweite Hälfte des 20. Jh. 56,7x42,7x12,2 cm. Sammlung Vivian und Jaime Liébana.© Jürgen Golte

In den folgenden Jahrzehnten durchliefen die retablos ayacuchanos weitreichende Veränderungen bezüglich ihrer Größe, des Designs und der Thematik. Dabei richteten sich die Produzenten vornehmlich nach den Wünschen der Käufer und Auftrageber. Die große Konkurrenz unter den Kunsthandwerkern und die wechselnden Launen des Marktes stimulierten die Einführung von neuen Produktionstechniken, Innovationen bezüglich der Materialien und Formen. So gibt es heute etwa Miniatur-retablos in der Größe von Streichholzschachteln, Objekte aus Gips und Eierschalen oder Kürbis. Die relative Einheitlichkeit des Sanmarkos lässt sich nicht mehr finden.

Retablo. "Los mártires de Uchuraccay". Fam. Jiménez. Ayacucho. 1984. Holz und Paste. © Jürgen Golte.

Ab den 80er Jahren und mit dem Aufkommen der terroristischen Aktivitäten des Sendero Luminoso, die Ayacucho vom Rest des Landes isolierten, werden die retablos auch zunehmend als Kommunikationsmedium mit der Außenwelt entdeckt. Die dargestellten Themen beschäftigen sich vermehrt mit den sozialen Konflikten, den gesellschaftlichen Widersprüchen und dem Alltag während des Terrors.

Retablo. "Rescate de la Embajada del Japón". Nicario Jiménez. 1997/98. Holz und Paste.© Jürgen Golte

Die Herstellung der retablos in der Zeit des Senderos war dabei nicht ungefährlich. Die maoistischen Rebellen unterdrückten jegliche traditionelle Kunst und bedrohten die Kunsthandwerker, die sich ihnen widersetzten. Viele Künstler arbeiteten daher im Verborgenen oder wanderten nach Lima ab.

Retablo. Holz und Paste.© Jürgen Golte

Heute dient der retablo noch immer als allegorisches Medium für die Darstellung sozialer Probleme und ländlicher Traditionen. Doch finden sich auch Objekte mit rein abstrakten Motiven oder Themen, die aus fremden Kulturkreisen entlehnt sind. Der retablo hat dabei jegliche sakrale Funktion verloren und ist zumeist bloßes Kunstobjekt, Ziergegenstand oder Souvenirartikel. Die Übernahme neuer Kulturelemente wird oft als Verlust der Tradition betrauert. Dabei wird allerdings übersehen, dass eben in genauer jener Flexibilität eine Tradition ruht und dies die Stärke des lokalen Kunsthandwerkes, speziell des retablos ist.

Retablo. Anonym. Holz und Paste. © Olivera Beyer.

Retablo. Víctor Delfín. 1964. Diverse Techniken. 91,5x296x17 cm. Eigene Sammlung des Künstlers. © Jürgen Golte

 

Christian Piarowski