Von Magistern zu Modulen: Die Entwicklung von Studium und Lehre
Obwohl der Lehrbetrieb in der Vision der Gründungsprofessoren keineswegs Priorität hatte, lässt sich 50 Jahre später erfreulicherweise feststellen, dass sich das Lateinamerika-Institut zu einem Institut der Studierenden aus aller Welt entwickelt hat. 1962 schwebte Hirsch-Weber jedoch bereits vor, dass eine Gruppe lateinamerikanischer und deutscher Studierender zusammen kleine Vorlesungen und Seminare besuchen solle, da „die bei Lehrveranstaltungen über Lateinamerika behandelten Probleme so wenig erforscht sind, daß man auf eine enge Zusammenarbeit zwischen Dozenten und Hörern hinarbeiten“ müsse.31
Wenige Monate nach der Gründung studierte bereits eine stetig wachsende Zahl junger Menschen am Institut. Diese schrieben sich entweder in einen der beiden Magisterstudiengänge „Lateinamerikanistik“ oder „Altamerikanistik“ ein, besuchten einzelne Lehrveranstaltungen zu Lateinamerika im Rahmen ihres Studiums an den Fachbereichen oder nahmen an den Sprachkursen teil. Der Tagesspiegel berichtete, dass „im Wintersemester 1971/72 ein wesentlich erweitertes und verbessertes Lehrprogramm in eigenen Räumen“ angeboten werden konnte, das 413 Teilnehmerinnen und Teilnehmer wahrnahmen. Zudem habe sich die Studierendenzahl „beträchtlich erhöht“.32 Wurden im Wintersemester 1971/72 erst 25 Lehrveranstaltungen durchgeführt, so liegt die Zahl seit einigen Semestern regelmäßig über 50. Eine intensive Beschäftigung mit Lateinamerika findet seither nicht allein in den Räumen am Breitenbachplatz statt, sondern auch in den zahlreichen Exkursionen, die unter anderem bereits 1971 Lehrende und Studierende zur Untersuchung der Agrarreform nach Chile führten.33
Während fortlaufend mehr Studierende ein Magisterstudium aufnahmen und im Wintersemester 1990/91 die Zahl mit 1.150 Studierenden im Haupt- bzw. in den Nebenfächern einen Höchstwert erreichte, entwickelten verschiedene Institutsmitglieder in den 1980er- Jahren neue Vorschläge zur Gestaltung der Lehre.34 Im Januar 1984 diskutierte der Institutsrat Pläne für ein Aufbaustudium „Pädagogik der 3. Welt“, mit dem unter anderem „arbeitslosen Lehrern nützliche Studienangebote“ ermöglicht werden sollten.35 Genau wie dieser Modellversuch wurde auch ein seinerzeit innovativer studentischer Vorschlag (vorerst) nicht umgesetzt. Im Rahmen eines Autonomen Seminars während des Streiksemesters 1988/89 entwickelte eine kleine Gruppe ein Reformmodell für einen Regionalstudiengang „Lateinamerikastudien“, das auf ein geteiltes Echo stieß. Die Studierenden entwarfen einen Diplomstudiengang mit einer einheitlichen Studienordnung, einem interdisziplinären Lehrangebot und einem integrierten Praxissemester zum Sammeln von Berufs- und Auslandserfahrungen.36 Mit dieser Idee kamen sie der Bologna-Reform zuvor. Während die Magisterstudiengänge allmählich ausliefen, traten zum Wintersemester 2005/06 das 30-Leistungspunkte-Modulangebot „Lateinamerikastudien“ und der Masterstudiengang „Interdisziplinäre Lateinamerikastudien“ in Kraft, der 2013 reformiert wurde.
31 Nachlass Hirsch-Weber, Sondersammlungen, IAI SPK, N-0086 b 15, Dok. 11, Hirsch-Weber an Bock (13.6.1962).
32 „Wieder Hochschullehrer am Lateinamerika-Institut“, in: Der Tagesspiegel (Berlin, 12.11.1971).
33 FU Berlin, UA, ZI LAI, Institutsrat 1970-1974, ZI 3 Lateinamerika-Institut, Jahresbericht April 1971 bis März 1972 (zu Händen des Präsidenten der Freien Universität Berlin), S. 3.
34 Zur Entwicklung der Studierendenzahlen: Lateinamerika-Institut, Tätigkeitsbericht 1989-1990, Berlin 1991, S. 7.
35 Lateinamerika-Institut, Protokoll der 246. Sitzung des Institutsrats vom 31.1.1984, S. 3.
36 Martin Ling, „Reformmodell am Lateinamerika-Institut“, in: Die Tageszeitung (Berlin, 11.1.1990).