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Grammatiken

Die Länge und Komplexität des Wortes kann in den indigenen Sprachen Amerikas extrem unter­schiedlich ausfallen. Einige Sprachen zeichnen sich durch eine einfache Grammatik aus, in anderen kann ein einzelnes Wort die Komplexität eines ganzen Satzes ausdrücken, wie im Bella Coola (British Columbia, Kanada):

kma-ank-ulik-ak-ts-tx

schmerzen-Seite-Rücken-Hand-mein-Artikel

Die Seite meines Handrückens tut weh.

Dieses Beispiel für das Hineinziehen sehr vieler Elemente in ein Wort (sog. Polysnythese) zeigt auch, dass die Sprachen einem relativ konsequenten und bei aller Differenziertheit schlüssigen Baukastenprinzip folgen, so dass selbst komplexe Wortformen meist noch gut nachvollziehbar bleiben.

Die Komplexität betrifft typischerweise vor allem das Verb, in das in etlichen Sprachen weitaus mehr Information gebunden wird als in europäischen Sprachen üblich. Häufig wird am Verb nicht nur das Subjekt, sondern auch das direkte und teilweise indirekte Objekt gekennzeichnet wie im folgenden Beispiel aus dem Aztekischen:

ni-mits-tla-maca

Ich-dir-etwas-geben

Ich gebe es dir.

In manchen Sprachen kann das direkte Objekt unter Umständen nicht nur pronominal, sondern auch als Substantiv in das Verb inkorporiert werden:

ni-mits-tlaxcal-maca

Ich-dir-Tortilla-geben

ich gebe dir Tortilla(s).

Zeiten in unserem Sinne sind eher die Ausnahme, eher wird gekennzeichnet, ob die Handlung oder der Vorgang schon abgeschlossen ist oder nicht. Bei Handlungen und Vorgängen werden z. B. näher bestimmt: (unmittelbares) Einsetzen, Beendetsein, im Vorgang Befindlichsein, Dauer, wiederholter Charakter, Intentionalität, Richtung des Vorgangs oder der Handlung, Raumlage oder Beschaffenheit des Objekts, das von der Handlung betroffen ist, u. v. m.

Das Nomen fällt demgegenüber meist eher einfach aus, obwohl einige Sprachen gerne bedeutungs­mäßig wie ein Wort verfestigte beschreibende Sätze anstelle von nicht weiter ableitbaren Grundwörtern verwenden wie das Wort für Pferd sokwili, wörtlich »es trägt schwere Lasten«, im Cherokee. Das Nomen hat nur selten Kasus­kennzeichnungen (wie im Deutschen Nominativ, Akkusativ oder Dativ) für die syntaktischen Grundrelationen Subjekt und direktes oder indirektes Objekt. Der Genitiv wird oft durch Possessivkonstruktionen wie »dem Vater sein Haus« ausgedrückt, wie sie sich auch in manchen deutschen Dialekten finden. Nur Ortsangaben und andere indirekte Angaben werden meist von den notwendigen Ergänzungen formlich unterschieden.

Genus und Plural, für die in vielen europäischen Sprachen eine Kennzeichnungspflicht besteht, sind oft fakultativ und erfolgen nur dann, wenn das (natürliche) Genus oder die Mehrzahl als besonders wichtig hervorgehoben werden sollen. Als für uns ungewohnte grammatische Kategorien finden sich dagegen häufig veräußerlicher/unveräußerlicher Besitz oder Wahrheitsgehalt einer Aussage. In manchen Sprachen wird genau kennzeichnet, ob eine Aussage z. B. gesichertes Wissen oder nur eine Vermutung des Sprechers ist (Central Pomo, Kalifornien):

che mul-ya                   es regnete (Sprecher war Augenzeuge)

che mul-’do                  es regnete (wie der Sprecher erzählt bekam)

che mul-nme                es regnete (direkte Schlussfolgerung, weil der Regen zu hören war)

che mul-’ka                  es muss geregnet haben (indirekte Schlussfolgerung, weil es nass ist)

Die Satzverknüpfung erfolgt meist nicht über Konjunktionen wie im Deutschen, sondern wird über andere Strategien realisiert. Dies führt leider oft zu kaum verständlichen Übersetzungen indigener Texte, da die inhärente Informationsstrukturierung und -gewichtung aufgrund ihrer Andersartigkeit nur unzulänglich wiedergegeben wird.

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