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Studentenbewegung und Polizeigewalt in Brasilien

Der Militärputsch am 31. März 1964 leitete einen Generationswechsel in der linken Studentenunion UNE (União Nacional dos Estudantes) ein: Viele Studierende sahen sich aufgrund der Angriffe, die im Brandanschlag auf ihr Hauptgebäude gipfelten, gezwungen, ins Exil oder in den Untergrund zu gehen. Die „neue“ UNE führte unter dem Motto „Resistir, resistir“ den Kampf gegen die verschärfte Repression fort. 1968 erreichten die Proteste der Studenten einen neuen Höhepunkt: Auslöser war eine „Universitätsreform“, in der – unter Einfluss der United States Agency for International Development – das brasilianische Bildungssystem nach US-Vorbild umgebaut werden sollte. Demzufolge sollte die Zahl der Schuljahre verkürzt und einige Fächer, wie etwa Philosophie und Politische Bildung, ganz gestrichen werden. Studenten, aber auch Professoren und Intellektuelle, protestierten gegen diese Umstrukturierung, wie auch allgemein gegen die Beschneidung der bürgerlichen Rechte durch die Diktatur. Bis zum 28. März 1968 verliefen die Protestaktionen überwiegend friedlich. Doch an diesem Tag fand eine Demonstration vor einem Studentenrestaurant in Rio de Janeiro statt. Als die Militärpolizei das Lokal stürmte, wurde der sechszehnjährige Schüler Edson Luis de Lima Souto erschossen – er war das erste Todesopfer der 68er-Bewegung in Brasilien. An den darauffolgenden Tagen kam es im ganzen Land zu Protestkundgebungen. In den folgenden Monaten gab es bei Demonstrationen und Arbeitskämpfen gegen das Regime weitere Todesopfer, Verletzte und Tausende von Verhafteten. Die Studierenden verhandelten mit Universitäts- und Staatsführung, zugleich machten sie ihre Anliegen in ländlichen Gegenden mittels Theater oder Alphabetisierungskampagnen publik. Den Höhepunkt der Mobilisierung gegen die Staatsgewalt markierte am 26. Juni die „Passeata dos Cem Mil“ (Demonstration der 100.000) in Rio. Die Repression verschärfte sich, auch Kulturschaffende, die bis dato relativ wenig behelligt wurden, waren nun betroffen. Die Polizei stürmte Universitäten in verschiedenen Städten. Als im Oktober der Jahreskongress der UNE an einem geheimen Ort stattfinden sollte, wartete die Polizei schon auf die Teilnehmer und nahm viele Hundert – darunter fast die gesamte Führung – fest. Mit dem Erlass des AI-5 (Ato Institucional No 5) am 13. Dezember 1968, dem sogenannten „Putsch im Putsch“, wurden mit einem Schlag alle politischen Vereinigungen und Kundgebungen verboten, das Parlament aufgelöst und die meisten demokratischen Grundrechte abgeschafft. Erneut begaben sich viele Studenten in den Untergrund und schlossen sich bewaffneten Gruppierungen an. Es folgten „os anos de chumbo“ – die bleiernen Jahre bis 1974, in denen Repression und Unterdrückung in Brasilien ihren Höhepunkt erreichten.

Katharina Seeger