Transatlantische Lektüren
Lektüren waren dies- und jenseits des Atlantiks seit jeher der Treibstoff von Revolten und revolutionären Bewegungen, so auch in den Aufbrüchen der späten Sechzigerjahre. Selten zuvor hatte sich die Lektüre von Theorie wie Belletristik derart transnationalisiert, so dass ´68 auch eine Zeit des weltumspannenden, politisierten Lesens war. Zum einen wurden Werke von Jean-Paul Sartre, Jürgen Habermas, Herbert Marcuse und anderen „Theoriestars” aus Europa und den USA dank versierter ÜbersetzerInnen intensiv in Lateinamerika rezipiert.
„Wir wollten schreiben und gleichzeitig etwas verändern. Am Beispiel Sartres eröffnete sich die Möglichkeit, am sozialen und politischen Kampf teilzunehmen. Auf einem Kontinent, auf dem man von Diktatoren umgeben war und diese unfassbaren sozialen und wirtschaftlichen Gegensätze erlebte, klangen diese Ideen ganz besonders überzeugend”, erinnert Mario Vargas Llosa diese Zeit.
Zum anderen boomte, ermöglicht durch ein neues kulturelles Selbstbewusstsein, nicht zuletzt im Zuge der kubanischen Revolution, die internationale Kenntnisnahme lateinamerikanischer Produktion. Auf den Markt kamen Übersetzungen theoretischer Beiträge (Stichwort: Dependenz-Theorien), vor allem aber Poesie und Literatur. Mit Hundert Jahre Einsamkeit von Gabriel García Márquez wurde der in Europa traditionell unbeachtete lateinamerikanische Roman mit einem Mal populär. Um 1968 erschienen in Deutschland Werke von Autoren wie Vargas Llosa, Carlos Fuentes, Jorge Luis Borges oder Alejo Carpentier aber auch Schriften von Régis Debray, Che Guevara oder Fidel Castro.
Gintare Malinauskaite / Anne Huffschmid