Marienverehrung und Christianisierung in der Kolonialzeit
Guaman Poma de Ayala (1615), S. 933 © Det Kongelige Bibliotek
Der Marienkult in Lateinamerika unterliegt einem intensiven, variierenden und aktiven Eigenleben. Lokale Glaubensvorstellungen wurden durch die katholische Kirche in der Kolonialzeit mit dem Kult der Jungfrau Maria verschmolzen und adaptiert.
Mariendarstellungen auf Gemälden verdeutlichen den Eifer der Missionare bei der Konstruktion eines Zusammenhanges der präkolonialen Mutter-Erde (Pachamama) und der Berggottheiten (Apu) mit den Glaubensvorstellungen der katholischen Kirche. In Visionen erscheint die Jungfrau Maria an verschiedenen Orten, an denen vorher lokale Berggottheiten verehrt wurden. Diese Apus stellen im Gegensatz zum femininen Aspekt der Pachamama die maskuline Ergänzung im dualen andinen Weltbild dar. Diese duale Ergänzung kann auf den christlichen Gemälden in der Person von Jesus gesehen werden.
An besonders heiligen Bergen wurde der Wechsel von der Verehrung der Apus hin zum Christentum mit dem Bau von Kirchen vollzogen (bspw. Substituierung des Berggottes des Cerro Huayna Potosi). Nach erfolgter einheitlicher christlicher Marienumdeutung von sakralen präkolonialen Orten mit den entsprechenden Kulten erfolgten dann in lokalem Eigenleben die Verehrung der Maria mit ergänzenden Namen entsprechend ihrer lokalen Funktion: Virgen de Copacabana, Pucarani, Reina, Purificada, Candelaria oder Virgen de la Gracia. Die verschiedenen Missionare (Dominikaner, Jesuiten, Franziskaner) haben mit großem Elan für die Etablierung von Kultorten und das Feiern von Festen gesorgt. Mit großen Pilgerströme hin zu den alten Kultorten im neuen Gewand des Christentums mit Maria als Frontfrau konnte die Frömmigkeit der Menschen weiterleben. Lokale Künstler verleihen der jeweiligen Manifestation Mariens eine eigene Ikonographie. So beispielsweise bei den Jungfrauen von Copacabana oder Cocharcas, die sich zwar beide an der Virgen de la Candelaria orientieren, aber ihre eigenen einheimischen Attribute erhalten, wie z.B. die dunklere Hautfarbe.
Trotz Christianisierung und Marienverehrung wurden und werden in der indigenen Realität die Pachamama und verschiedene Naturgottheiten weiterhin separat verehrt. Sie haben ihren Platz in traditionellen Festen und Ritualen und sind in der andinen Weltvorstellung fest verankert.
Miriam Lahitte Stand:10.05.2007