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Mexikos kultureller Nationalismus: Die Muralisten

Benito Juarez und seine Frau Margarita Maza. Wandmalerei von Arturo García Bustos,1980, Palacio de Gobierno, Mexiko

Benito Juarez und seine Frau Margarita Maza. Wandmalerei von Arturo García Bustos,1980, Palacio de Gobierno, Mexiko
Bildquelle: Ingrid Kummels

Das 20. Jahrhundert war weltweit von großen Kriegen und Umbrüchen geprägt. Auch für Mexiko ergaben sich weitreichende Veränderungen, ausgelöst durch die große Revolution von 1910.

In den unstabilen Zeiten der postrevolutionären Ära, die von links- wie rechtsgerichteten Parteien gleichermaßen beeinflusst wurde, machten es sich die wechselnden Regierungen zur Aufgabe, ein neues Nationalbewusstsein zu schaffen. Der mexikanische Bildungsminister und Philosoph José Vasconcelos Calderón hatte in den frühen 1920er Jahren einen wesentlichen Einfluss auf die Formierung einer Bewegung, die der Bevölkerung eine Basis für eine neue nationale Identitätsfindung bieten sollte. Er beauftragte junge mexikanische Künstler damit, auf öffentlichen Gebäuden monumentale Wandmalereien (spanisch: murales) anzufertigen, die ausgewählte Auszüge aus der mexikanischen Geschichte, bestimmte Traditionen, die kulturelle Vielfalt des Landes und die Ausbeutung durch die Europäer und die damit begonnenen sozialen Missstände, aber auch den Ausblick auf eine vermeintlich hoffnungsvolle Zukunft visualisieren sollten. Beeinflusst durch zahlreiche vorspanische, moderne mexikanische, aber auch europäische Stilrichtungen und Elemente, entwickelten die sogenannten Muralisten eine neue traditionelle, volkstümliche Kunstrichtung, die der vorherrschenden Akademiekunst ein Ende setzen sollte. Kunst sollte nun nicht mehr einem eingeschränktem intellektuellem Kreis vorbehalten, sondern dem ganzen Volke zugänglich sein und seiner Sozialisierung und politischen Aufklärung dienen. Dieses didaktische Mittel zur Vermittlung bestimmter Inhalte für eine zu großen Teilen analphabetische Bevölkerung hatten bereits die Azteken und Maya im Alten Mexiko erfolgreich eingesetzt, ebenso wie die Katholische Kirche im kolonialen Spanisch Amerika.

Hauptvertreter der muralismo-Bewegung waren die sogenannten "Tres Grandes", Diego Rivera, José Clemente Orozco und David Alfaro Siqueiro, die ihren Gesellschaftsauftrag in ganz unterschiedlicher Weise interpretierten und diverse Techniken verwendeten. Während Rivera die traditionelle Technik der Freskenmalerei von seinem langen Europaaufenthalt mitbrachte, bei der Wasserfarbe auf feuchtem Mörtel aufgetragen wird, bevorzugten andere Muralisten wie z.B. Siqueiros innovativere Methoden, wie die Verwendung von gefärbten Zement, der durch Sprühpistolen aufgetragen wurde.

Hernán Cortéz und Malinche, Wandmalerei von José Clemente Orozco, 1926 Escuela Nacional Preparatoria de México, Mexiko Stadt

Hernán Cortéz und Malinche, Wandmalerei von José Clemente Orozco, 1926 Escuela Nacional Preparatoria de México, Mexiko Stadt
Bildquelle: Ingrid Kummels

1935 beendete Diego Rivera sein berühmtestes Werk "La Historia de México" auf den Wänden des Nationalpalastes in Mexiko-Stadt, wo er in teils idealisierter, teils sozialkritischer Weise die Geschichte Mexikos von den vorspanischen Anfängen bis in die Moderne darstellte. Wie er glorifizierte auch David Alfaro Siqueiros  die mexikanische Revolution, betonte aber im Gegensatz zu Rivera verstärkt die Unterdrückung und Ausbeutung der unteren Gesellschaftsschichten. Mitte der 1930er Jahre begann José Clemente Orozco als Muralist immer weiter an Bedeutung zu gewinnen. Er fertigte von 1936-1938 drei monumentale Zyklen auf den Wänden der Universidad de Guadalajara, dem Palacio de Gobierno und dem Hospicio Cabañas, mit der Darstellung der Spanischen Eroberung Mexikos, an. Orozco stellte sich besonders gegen Riveras utopische Version der vorspanischen Geschichte, seine idealisierende Sicht der revolutionären Kämpfe und gegen seinen folkloristischen Indigenismus. Er sah den Grund für das Scheitern, Freiheit und Gerechtigkeit zu erreichen, nicht in Ort, Zeit, ethnischer Zugehörigkeit oder Kultur, sondern in der allgegenwärtigen Fehlbarkeit des Menschen.

Nach 1930 expandierte die muralismo-Bewegung bis nach Argentinien, Peru und Brasilien und die Wandmalereien fanden sich sogar auf einigen öffentlichen US-amerikanischen Gebäuden wieder.

 

Peggy Goede