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Mythos der Amazonen

Amazons

Amazons
Bildquelle: Library of Congress, Washington D.C. www.loc.gov/pictures/item/2001697724/

Im 15. Jahrhundert kursierten in Europa eine Vielzahl von Erzählungen, die von griechischen Mythen und Fabelwesen berichteten. Auf einer Karte von 1492 fügte der Kartograph Martin Behaim einen Hinweis über eine rein von Frauen bewohnte Insel ein und stütze sich dabei auf die Erzählungen des Marco Polo.

Der Mythos um das kriegerische Frauenvolk fand seinen Weg schnell in die Neue Welt und schon Christoph Kolumbus nahm auf seinen ersten beiden Reisen Bezug auf sie.

Den Einträgen seines Bordbuchs vom 13. und 16. Januar 1493 zufolge existierte eine Insel, die von männlichen Kariben bevölkert war, ebenso wie eine Nachbarinsel namens Matinino, die allein von Frauen bewohnt wurde. Genau wie in der klassischen Sage lagen diese Inseln nahe beieinander und auch die Bräuche, die Kolumbus diesen angeblichen „Amazonen“ zuschrieb stimmten mit denen von Herodot erwähnten überein: sie vereinten sich einmal im Jahr, und zwar im Frühling, mit den Männern, allein mit dem Ziel ihre Rasse erhalten zu können. Die weiblichen Säuglinge behielten sie für sich und gaben die Jungen fort.

Diverse Chronisten berichteten von einem Frauenvolk. So erwähnt z.B. Francisco López de Gómara in seiner Historia General de las Indias Amazonen auf der Insel Guanahani auf den Bahamas. Und Antonio de Herrera y Tordesillas  schreibt von Frauen, die mit Pfeil und Bogen versucht hätten die Landung von Kolumbus auf der Insel Guadaloupe bzw. dem „Land der Frauen“ zu verhindern.

Auch Konquistadoren erinnerten sich an den in ihrer Heimat weit verbreiteten Mythos. So berichtete Juan de Grijalva 1518, dass es in Yucatan, Mexiko, eine Insel gäbe, die nur von Frauen bewohnt sei, die er für Amazonen hielt. Der Chronist Peter Märtyr schrieb in seinen Acht Dekaden über die Neue Welt über Grijalvas Entdeckung und fügte der Erzählung einige Details wie z.B. die einseitig fehlende Brust hinzu, eine Selbstverstümmelung, die dem griechischen Mythos zufolge erfolgte, um den Bogenschuss zu erleichtern. Er selbst ordnete allerdings die Erzählung des Spaniers dem Fabelreich zu.

Amazonasflussgebiet

Amazonasflussgebiet
Bildquelle: (c) Peggy Goede

Bis zu diesem Zeitpunkt sind die Legenden um die Amazonen eine reine Reproduktion der griechischen Sage, wohl verursacht durch mittelalterliche Erzählungen, die Annahme Kolumbus´ im von Marco Polo beschriebenen Asien gelandet zu sein, wo Amazonen angeblich gesichtet wurden und möglicherweise durch Verständigungsschwierigkeiten mit der indigenen Bevölkerung. Die Reise von Francisco de Orellana jedoch verwandelten den antiken Mythos in einen spezifisch amerikanischen.

Im Jahre 1541 zog der spanische Konquistador Gonzalo Pizarro, Bruder des berühmten Eroberers Francisco, von Quito (heutiges Ekuador) aus in die Provinz Quijos, um das sagenhafte Zimtland zu suchen. Gewürze waren in Europa heiß begehrt und die Indigenen hatten den Spaniern von einem Land voller Zimtbäume im Osten berichtet. In Quijos wurden die Spanier, unter ihnen Francisco de Orellana, von den spärlichen Zimtpflanzen enttäuscht und sie zogen tiefer ins östliche Tieflandgebiet, diesmal auf der Jagd nach Gold. Nach vielen Strapazen trennten sich Pizarro und Orellana auf der Suche nach Nahrung schließlich im Urwaldgebiet. Pizarro kehrte letztendlich 1542 erfolglos nach Quito zurück. Orellana ging jedoch mit seiner bevorstehenden Entdeckung in die Geschichte ein.

Nach zahlreichen Kämpfen mit der indigenen Bevölkerung kam es im Juni 1542 auf dem Marañon zum ersten Kontakt mit einem kriegerischen Frauenvolk. Diese kamen ihren Verbündeten im Kampf gegen die Spanier zu Hilfe, wurden jedoch von den Konquistadoren mit Waffengewalt in die Flucht geschlagen.

Orellana Statue in Guápulo, vor den Toren Quitos

Orellana Statue in Guápulo, vor den Toren Quitos
Bildquelle: Peggy Goede

Der Dominikanermönch Gaspar de Carvajal, der Orellana begleitete, beschrieb die „Amazonen“ in seiner Chronik ausführlich und bezeichnete sie als weiße, große Frauen mit langen Haaren. Sie seien bis auf eine Schambedeckung nackt gewesen und waren mit Pfeil und Bogen bewaffnet. Nach Auskunft indigener Gefangener lebten die Kriegerinnen nicht am Flussufer selbst, sondern im Landesinneren. Ihre Gemeinschaft bestand aus ca. 70 Dörfern, in denen nur Frauen lebten und deren Eingänge bewacht wurden. Weiterhin erfuhren die Spanier, dass die Frauen von Zeit zu Zeit einen Krieg gegen die umliegenden Dörfer anfingen und männliche Gefangene zwecks Fortpflanzung in ihr Lager brächten. Wenn die Männer ihren Zweck erfüllt hatten, wurden sie ohne Schaden wieder in ihre Dörfer geschickt. Bei der Geburt der Kinder wurden die männlichen Säuglinge dann getötet, Mädchen dagegen freudig im Dorf aufgezogen und zu Kriegerinnen ausgebildet. Angeführt durch ihre Herrscherin Coñori hatten sich die Frauen viele Provinzen Untertan gemacht, die an sie Tribute entrichten mussten. Andere dagegen standen mit ihnen im Krieg.

Nach seiner Begegnung mit dem Frauenvolk und den Erzählungen der Indigenen taufte Orellana den bis dato nach ihm benannten Fluss  in „Amazonas“ um.

Es wurden noch weitere zahlreiche  Amazonasexpeditionen unternommen, die ebenfalls von einen kriegerischen Frauenvolk sprachen, so z.B. die Expedition des Portugiesen Pedro Texeira im Jahre 1637. Vier Jahre später veröffentlichte der ihn begleitende Pater Cristobal de Acuña seinen Reisebericht Nuevo descubrimiento del gran rio de las amazonas in dem er auch eine Beschreibung der Amazonen ablieferte. Sein Bericht galt als erste wissenschaftliche Abhandlung über das Amazonasgebiet, da sich Acuña im Gegensatz zur reinen Reisebeschreibung Carvajals, auch mit den geographischen Begebenheiten des Gebietes auseinandersetzte. Acuña selbst hatte die Amazonen allerdings nie gesehen, da diese sich angeblich zwischenzeitlich im Gebiet des heutigen Venezuela niedergelassen hatten. Die indigenen Beschreibungen und die ursprüngliche Lokalisation des Frauenvolkes stimmen allerdings mit der von Carvajal überein.

Und es gab noch viele zahlreiche Expeditionen, die von Kontakten mit kriegerischen Frauenvölkern berichteten oder die zumindest von ihnen hörten. Die Legenden um die Amazonen kursierten noch bis ins 18. Jahrhundert im Amazonasgebiet. Doch gab es dieses Frauenvolk wirklich? Einige Forscher wie der Historiker Enrique de Gandia sehen in ihnen die inkaischen „Sonnenjungfrauen“, da Carvajal von einem Sonnenkult im Flussgebiet gesprochen hatte. Vielleicht waren die „Amazonen“ auch Frauen des Inkas, denen die umliegenden Provinzen tributpflichtig waren. Einen Hinweis auf eine Verbindung zur Inkakultur sieht Gandia auch in Carvajals Beschreibung der Kleidung der Amazonen, die aus feiner Wolle bestehen sollte, die von Lamas stammte.

Letztendlich ist anzunehmen, dass in einem in vorspanischer Zeit oftmals matriarchalisch ausgerichtetem Amerika, die Möglichkeit der Existenz eines reinen Frauenvolkes durchaus gegeben ist.

 

Peggy Goede, Oktober 2011