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Der Inka-Herrscher - ein hybrides Objekt?

Die "porträtierten" Inka-Herrscher sind Ergebnis des Aufeinandertreffens inkaischer und spanischer Gesellschaftsstrukturen und Praktiken.

Einzelne "Porträts" aus 2 verschiedenen Bilderserien aus dem 19.Jahrhundert:
(Bild 1-5, VA 66695, VA 66696, VA 66697, VA 66698, VA 66700) © Ethnologisches Museum Berlin, Bild 6-7, Museo de Anthropología Lima aus: Thomas Cummins, Incas Reyes del Perú (2005), S. 296-297 © Banco de Crédito del Perú

Betrachten wir die einzelnen "Porträts", stellen wir fest, dass individuelle Charakterzüge fehlen, vielmehr werden Charaktereigenschaften ausgedrückt, die allgemein Herrscherpersönlichkeiten zugeschrieben wurden. Der Inka-Herrscher wurde auf der Leinwand zu einem hybriden Objekt, er bot eine leere Form und gab somit jedem gesellschaftlichen Sektor die Möglichkeit, seine Ideen auf diese zu projizieren. Die "wieder-erfundenen" Inka dienten ganz unterschiedlichen Zwecken und revitalisierten die Inka-Monarchie. Die Bilderserien von Inka-Herrschern, die im Ethnologischen Museum ausgestellt sind, erfüllten im 19. Jahrhundert die Funktion eines Souvenirs. Heute sind sie für uns erneut ein geschichtliches Dokument, wie bereits im 16. Jahrhundert, als die ersten genealogischen Zeichnungen in den Chroniken veröffentlicht wurden.

Ganz anders war die Intention im 17. und 18. Jahrhundert. Nun waren die genealogischen Darstellungen der Inka-Herrscher in politische Strategien eingebettet. Die visualisierten Genealogien legitimierten die Machtausübung und die Noblesse der vorspanischen Inka-Herrscher und bestätigten die hohe soziale Position ihrer kolonialzeitlichen Nachkommen. Diese visuelle Legitimierung war für den kolonialen Inka-Adel und seine Nachkommen unablässig, um Privilegien im Vizekönigreich sichern zu können. Die Eroberer andererseits schlossen nahtlos an eine lange inkaische Herrschertradition an. Es vermittelte die Vorstellung von der Natürlichkeit der Ereignisse und von der Kontinuität in der Herrscherfolge. 

(Zum Vergleich Die Bilderserie aus dem Ethnologischen Museum; sie endet mit einem Bild Fransico Pizarros.)

Beiden Machtdiskursen - dem der "abgelösten" Inka-Herrscher und dem der spanischen Eroberer - lag dasselbe Interesse zugrunde, nämlich die Legitimierung der jeweiligen Herrschaft. Ihr Medium, das "fiktive Porträt", wurde zum Sprachrohr für die "Kolonisierten" und für die "Kolonisierenden". Der repräsentierte Inka-Herrscher als Legitimationsanspruch von Macht ist auch heute aktuell. Alejandro Toledo, peruanischer Präsident von 2001-2006 präsentierte sich als "Pachacutec der Neuzeit".

Zur Geschichte und  Entwicklung der genealogoischen Darstellungen der Inka-Herrscher in der Kunst:  Vom geschichtlichen Dokument zum Souvenir

Janet Lejcek