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Modernisierungs- und neoklassische/neoliberale Theorie

Wenn man davon ausgeht, dass “Entwicklung” immer bedeutet eine Richtung zu einem definierten Ziel einzuschlagen, dann formuliert man mit “Entwicklungsökonomie” die Theorie für den Weg dorthin. Alle hier betrachteten Ökonomen haben mit dieser Logik und Definition von Entwicklung – “Entwicklung” als Auftrag sich zu entwickeln – etwas gemein.

a) Walter Withman Rostow (1916 – 2003)

Die “Stages of economic growth” von Walt W. Rostow sind wohl das am meisten diskutierte Werk der Modernisierungstheorie. Walt W. Rostow beschreibt darin die Phasen der Entwicklung als Stadien, die Länder durchlaufen, bevor sie dann als entwickelte und moderne Staaten gelten können. Vorlage seiner Theorie ist die (Entwicklungs)Geschichte Zentraleuropas die Rostow in Stadien (stages-of-growth) gliedert und nach diesem System sich auch alle Länder der Erde in eines der spezifischen Stadien auf dem Weg zur Moderne einordnen lassen. Rostow unterscheidet dabei fünf wesentliche Stadien: (i) traditional society (ii) the preconditions for take-off (iii) take-off, (iv) drive to maturity und (v) high-mass consumption, die er in weitere Klassen unterteilt. Modernisierung hat für Rostow deshalb ein finales Ende. Alle Länder befinden sich nach der Theorie von Rostow auf einem Zeitpfad und dabei kann sowohl die aktuelle Position auf dem Zeitstrahl, als auch die Zeit bis zur „Moderne“ (high-mass consumption) bestimmt werden.

Rostows „Stages of economic growth“ spielt in der Debatte um „Entwicklung“ deshalb eine so große Rolle, da sich das Bild des „Europäischen Panoptikum“ (Pieterse 2011), von dem aus die Welt betrachtet und geordnet wird am deutlichsten zeigt. „Entwicklung“ ist in der Vorstellung Rostows ein Übertragen westlich-europäischer historischer Vorgänge, bei denen lokale Unterschiede kaum eine Rolle spielen. „Wie im Westen, so auf Erden“, so hat Wolfang Sachs bereits 1993 diese Vorstellung von „Entwicklung“ treffend zusammengefasst.

Weiterführende Literatur:

Pieterse, Jan N. (2010): New modernities: What’s new? in: Sergio Costa, Manuela Boatca und Encarnación G. Rodriguez (Hrsg.): Decolonizing European Sociology: transdisciplinary approaches, Kapitel 5. Farnham: Ashgate, Seiten 85–101.

Rostow, Walt W. (1990): The stages of economic growth, a non-communist manifesto. Cambridge: Cambridge Univ. Press.

Sachs, Wolfgang (1993): Wie im Westen so auf Erden: ein polemisches Handbuch zur Entwicklungspolitik. Vol 6343. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.

b)  Milton Friedman (1912 – 2006) / Anne Osborn Krueger (1934 - )

Milton Friedman und Anne O. Krueger sind VertreterInnen der neoklassisch-neoliberalen Wende in der Entwicklungsökonomie, die seit den 70er Jahren Institutionen wie Weltbank, IWF und andere prägt. Grundlegend ist die zentrale Annahme, dass vor allem zu geringe freie Entfaltungsmöglichkeiten der Märkte zu Problemen in den so genannten Entwicklungsländern führen.

Milton Friedman ist als Vertreter der „Chicago School“ mit der Bezeichnung „neoliberal“ verbunden wie kaum ein anderer (Wagner 2004). Als theoretischer Kopf der Monetaristen fokussiert Friedmans Konzept nicht nur die Geldpolitik, sondern auch eine gesamtwirtschaftliche Deregulierung - sowohl national, wie auch im internationalen Handel. Der Staat, so sein Credo, müsse sich aus dem Markt zurückziehen, da der Wettbewerb allein für die beste Allokation der Ressourcen und Güter sorge. Die individuelle Freiheit ist das wichtigste Gut im Markt und dieses werde durch staatliche Eingriffe eingeschränkt. Die Allgemeingültigkeit seines theoretischen Konzeptes ist es, die es notwendig macht, sich auch im Bereich der Entwicklungsökonomie mit seiner Theorie auseinander zu setzen. Der Einfluss der theoretischen Arbeiten Milton Friedmans auf IWF und Weltbank und damit die Ausrichtung der Zusammenarbeit mit Ländern des globalen Südens ist vor allem deutlich in den Strukturanpassungsprogrammen. Friedman ist damit einer der theoretischen Vordenker des Washington Consensus, der die entwicklungspolitische Zusammenarbeit der Institutionen des Nordens mit dem Süden in den 70er bis 80er Jahre prägte (Wagner 2004: 253).

Anne O. Krueger ist - ebenso wie Friedman -  eine Verfechterin des freien Marktes. Ihre Ausrichtung ist jedoch konkreter auf Entwicklungsökonomie fokussiert. Ihr Ansatz ist die Übertragung der liberalen Markttheorie auf entwicklungsökonomische Zusammenhänge (Mummert 2001:268). Dabei gilt ihr spezielles Augenmerk der Handelspolitik. Auch hier vertritt sie die liberalen Thesen mit dem Ziel durch freien und unreglementierten Handel die wirtschaftliche Entwicklung in vielen Ländern erst zu ermöglichen. Politik und vor allem Politikversagen sind für Krueger die häufigste Ursache dafür, dass Entwicklung nicht gelingt.

Eines der wichtigsten Erkenntnisse war und ist das „rent-seeking“ – also das Suchen nach transfer-Leistungen –  der Akteure im Marktgeschehen. Als „rent-seeking“ kann beispielsweise die Abwrackprämie verstanden werden, da Autohersteller politisch Einfluß  genommen haben und so bezuschusst vom Staat ihren Neuwagenverkauf steigern konnten. „Rent-seeking“ ist auf der anderen Seite aber auch, wenn Arbeitslosengeld bezogen wird und mit voller Absicht keine Tätigkeit aufgenommen wird.  Viele ihrer theoretischen Untersuchungen und auch Politikempfehlungen hatten die Vermeidung von „rent-seeking“ zum Ziel, da dieses Verhalten nach ihrer Theorie den Staat um die Entwicklungsfähigkeit bringt. Allerdings lehnt Krueger nicht jedes staatliche Handeln ab – sie sieht den Staat als Akteur, welcher seine Ressourcen dem Zweck entsprechend sinnvoll einsetzen soll: Dort wo die wenigen Mittel eines Entwicklungslandes den größeren Erfolg als in transfer-Zahlungen versprechen.

Weiterführende Literatur:

Friedman, Milton (1948): „A Monetary and Fiscal Framework for Economic Stability". American Economic Review,Vol. 38, No. 3. S. 245–264

Friedman, Milton (1968): "The Role of Monetary Policy." American Economic Review, Vol. 58, No. 1. S. 1–17

Friedman, Milton (1977): "Inflation and Unemployment: Nobel lecture". Journal of Political Economy. Vol. 85. S. 451–472.

Krueger, Anne O. (1974): „The political Economy of the rent-seeking Society“. In: American Economic Review Vol. 64 (3), S. 291-303.

Krueger, Anne O. (1983): Trade and Employment in Developing Countries I-III. Chicago and London: The University of Chicago Press for NBER.

Mummert, Uwe (2001): Anne O. Krueger. Freihandel als Schlüssel zur Entwicklung, Rent-Seeking als Hindernis. In: E+Z, Entwicklung und Zusammenarbeit Vol. 42 (9). S. 268-270.

Wagner, Christoph (2004): Milton Friedman. Der Markt als Löser aller Probleme. In: E+Z, Entwicklung und Zusammenarbeit Vol. 45 (6). S. 251-253.

c) Hernando de Soto (1941 - )

Mit seiner Theorie und dem in seinem Buch „The other path“ beschriebenen Entwicklungsmodell ist de Soto ein Vertreter der mikroökonomischen Perspektive. Ausgehend von der empirischen Untersuchung der Kleinunternehmer in Lima entwickelte de Soto seine Antwort auf Informalität und ihre Wurzeln. Für de Soto ist die Ursache der oft informellen unternehmerischen Tätigkeit hauptsächlich die ausufernde Bürokratie (Bass/Waschkuhn 2000:15).

In den 80er und 90er Jahren beobachtete de Soto die aktiven ökonomischen Tätigkeiten vieler Menschen in Lima – vieles davon jedoch am Staat vorbei: ohne Genehmigungen, ohne Steuern und ohne Beachtung der Arbeitsgesetze. In seinem Buch „El otro sendero“ (Deutsch 1992: Marktwirtschaft von unten) entwickelt er eine wirtschaftspolitische Empfehlung wie dieser „informelle Sektor“ wieder in den „legal-formellen“ Bereich der Ökonomie integriert werden kann. Dabei folgt er theoretisch der Idee der Neuen Institutionenökonomie, welche Eigentumsrechte, Transaktionskosten und vor allem direkte und indirekte Kosten durch Formalisierung als wichtiges Instrument  ökonomischen Handelns ansieht. In seine Theorie integriert de Soto aber auch Elemente einer Arbeitsmarkttheorie (de Soto 2002, Bass/Waschkuhn 2000:17).

Wichtig für das Wirken de Sotos ist das von ihm gegründete ILD – Instituto Libertad y Democracia – mit dessen Hilfe auch der peruanische „informelle Sektor“ weitestgehend formalisiert wurde. Auch heute erstellt das ILD Studien zu Informalität und gibt Politikempfehlungen nicht nur für die Länder Südamerikas, sondern für alle als Entwicklungsökonomie verstandenen Länder.

De Sotos Theorie reiht sich ein in die Theorieschule einer liberalen Marktheorie, auch wenn seine Thesen empirisch mikrofundiert sind und direkten Bezug zur Entwicklungsökonomie aufweisen. Entwicklung ist für de Soto– und hier ist die Parellele zu Anne O. Krueger am deutlichsten – wenn sich Akteure  im Markt frei bewegen können und Entwicklung nicht durch einen stark regulierend verstandenen Staat verhindert wird.

Weiterführende Literatur:

Bass, Hans H., Markus Wauschkuhn (2000): „Hernando de Soto. Die Legalisierung des Faktischen.“ in: In: E+Z, Entwicklung und Zusammenarbeit Vol. 41 (1). S. 15-18.

De Soto, Hernando (2002[1989]): The other path: The economic answer to terrorism. London: Perseus.

De Soto, Hernando, Enrique Ghersi, Mario Ghibellini, Instituto Libertad y Democracia(1986): El otro sendero. Lima: El Baranco.

Nitsch, Manfred (1996): “Informeller Sektor,” in Ulrich Albrecht and Helmut Vogler (Hrsg.): Lexikon der internationalen Politik. München: Oldenbourg. S. 223-228.