Vorstellung ausgewählter Promotionsprojekte
News vom 13.10.2011
Promotionsprojekt: „Wirtschaftspotential Kultur und Körper? Brasilianische Kleinunternehmen im ‚multikulturellen‘ Berlin“ (Maria Lidola)
‚Lateinamerika‘ lässt sich in der Berliner Stadtlandschaft an vielerlei Orten und in vielerlei Formen antreffen, was nicht ausschließlich einer stetig wachsenden Präsenz lateinamerikanischer Migrant/innen geschuldet ist. In den letzten Jahren wächst jedoch deren kleinunternehmerische Tätigkeit, was sich als Trend auch bei anderen Migrant/innengrupppen in Deutschland feststellen lässt. Das oftmals kulturell verortete Warenangebot umfasst beispielsweise mexikanische Restaurants, andine Textilwarenmarktständ oder als ‚brasilianisch‘ markierte Geschäftsformen, bei denen neben gastronomischen Lokalen, Tanz- und Capoeira-Akademien die so genannten Brazilian Waxing Studios in den letzten Jahren verstärkt für Aufmerksamkeit sorgten.
Nachdem zwei Deutsche das Geschäftsmodel in dieser Form in Berlin eingeführt hatten, wird die Mehrheit der Studios heute von Brasilianerinnen betrieben. Sie zählen in der Regel zu einem Migrationsprofil, das sich im Zuge einer sich immer stärker globalisierenden Welt seit Ende der 1980er Jahre für den lateinamerikanischen Kontext ausgeprägt hat, bei dem meist wirtschaftliche Gründe oder aber die Gründung binationaler Familienkonstellationen über den Atlantik hinweg zur Migration bewegten. Das Beispiel der brasilianischen Migrant/innengruppe ordnet sich zudem in den globalen Trend einer Feminisierung der Migrationen ein – so sind über 2/3 der in Berlin registrierten Brasilianer/innen weiblich.
Vor diesem Hintergrund untersucht mein Promotionsprojekt ethnisch/kulturell markierte Kleinunternehmen der Kosmetikbranche in ihren lokalen, transnationalen und transkulturellen Einbettungen. Im Mittelpunkt stehen auf eine Konsumierbarkeit ausgerichtete wirtschaftliche, aber auch politische und soziale Ausschöpfungsstrategien von Kultur und Körper. Hierbei interessieren mich besonders die damit verbundenen Ethnisierungs- und De-Ethnisierungsstrategien in intersubjektiven Handlungen und Erzählungen, aber auch in Repräsentationen und Diskursen. Ich frage danach, in welchen konkreten Formen global zirkulierende Vorstellungen vom ‚Brasilianischem‘ und national verhandelte Multikulturalismus- und Integrationsdebatten und deren materielle Rückwirkungen in ihren Berliner Ausprägungen die Akteure – besonders die Unternehmerinnen, aber auch deren soziales Umfeld und die Kund/innen – sowohl in ihrer Positionierung in der Arbeitswelt als auch im gesellschaftlichen Alltag beeinflussen. Die Forschung untersucht damit verbunden auch den Begriff von Arbeit, die unternehmerische Selbständigkeit sowie die Spezifik des Geschäftszweiges auf ihre geschlechterspezifischen Besonderheiten hin und sucht hierzu den Vergleich zu vor-migratorischen Erfahrungen. Ins Zentrum der Diskussion stelle ich die Sichtweisen und Erfahrungen der Unternehmerinnen, die ich über qualitative sozial- und kulturanthropologische Methoden erarbeitete. Aktuell befinde ich mich in mitten meines ersten von drei Feldforschungsabschnitten. Meine Promotion fertige ich im Rahmen meiner Anstellung als wissenschaftliche Mitarbeiterin am LAI im Bereich Kulturanthropologie unter der Betreuung von Prof. Dr. Ingrid Kummels an.
Promotionsprojekt: „Virtualisierung von Körper und Sexualität in GayRomeo“ (Kaciano Gadelha)
Ich komme aus Fortaleza, Brasilien und promoviere seit 2010 als Stipendiat des Graduiertenkollegs “Entre Espacios/Zwischen Räumen” am Lateinamerika-Institut im Bereich Soziologie, was mir sehr gut gefällt. In Brasilien habe ich Psychologie und Soziologie studiert. Deutschland war für mich immer ein faszinierendes Land: die Philosophie, die Geschichte, die Landschaft… 2007 war ich zum ersten Mal in diesem Land mit einem DAAD-Stipendium für einen Deutschkurs in Leipzig. Deutschland kennen zu lernen, war sowohl persönlich als auch akademisch eine großartige Erfahrung. Als ich mich dafür entschieden habe, in Deutschland promovieren zu wollen, hat mir die Betreuerin meiner Magisterarbeit (Prof. Irlys Barreira) das LAI wegen der exzellenten Forschungsleistungen empfohlen. In meiner Dissertation geht es um Performativitäten von Geschlecht und Sexualität im Cyberspace, wobei ich eine Fallstudie zu Benutzern von Webseiten für GayDating bei Schwulen, Bisexuellen und Transgender in Brasilien und in Deutschland durchführe. Es handelt sich um Akteure in verschiedenen Räumen (realen und virtuellen), die neue Formen der Kontaktaufnahme benutzen und durch ihre Profiles zur Partnersuche auch neue Repräsentationen über Gender, Sexualität und Körper sichtbar machen. Ich problematisiere die vorhandenen Diskurse und Repräsentationen von Sexualität im Cyberspace. Wie vermitteln diese normativen Diskurse von Sexualität und Gender die soziale Produktion von neuen virtuellen Körperlichkeiten im Cyberspace? Das Graduiertenkolleg (Grako, wie wir es gewöhnlich nennen) ermöglicht mir die Promotion in einem ausgesprochen interdisziplinären und internationalen Kontext und in einer angenehmen Atmosphäre mit Doktorand/inn/en aus verschiedenen Ländern. Auch die Einrichtungen der Freie Universität (Bibliotheken, Mediotheken, usw) sind sehr gut und ermöglichen die Fortschritte meiner Forschung und zugleich die Möglichkeit, mehr als eine(n) Betreuer(in) für meine Dissertation zu haben (am LAI sind Prof. Dr. Sérgio Costa mein Doktorvater und PD Dr. Martha Zapatha Galindo meine Mentorin). Manchmal ist es schwierig, mit so unterschiedlichen Disziplinen und Theorien umzugehen und es scheint, als ob wir in einem Babel von Begriffen, Autoren und Orten wären und so ist der Alltag am LAI: eine Vielfalt von Themen, Sprachen, Studierenden, Professor/innen... Meiner Ansicht nach ist das LAI etwas Besonderes an der Freien Universität Berlin, was wir hier haben, habe ich noch an keiner anderen Universität erlebt: Es ist eine lockere Atmosphären zwischen den Studierenden, Professor/innen und Mitarbeitern, ein Stück von Lateinamerika mit deutscher Sahne, das mit einem Kaffee der LAI-Küche oder dem nächsten deutschen Bier im meist kaltem Berlin zu kosten ist.