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"Die Stunde der Feuer" - Kino und Revolution

Schon in den Fünfziger, intensiver aber gegen Ende der Sechzigerjahre entwickelt sich in der lateinamerikanischen Filmszene eine Gegenbewegung gegen die Übermacht des Hollywood-Mainstreams: ein neues politisches Kino, inspiriert von der kubanischen Revolution, das die gesellschaftlichen Verhältnisse spiegeln und verändern soll. 1967 fand in Chile ein erstes internationales „Festival des Neuen Kinos“ statt, das den Austausch zwischen Filmmachern aus allen Teilen des Kontinents ermöglicht und den Grundstein für eine kontinentale Kino-Bewegung legt – das neue lateinamerikanische Kino, das vor allem in den Siebzigerjahren zu blühen beginnt. Dabei sind die Produktionsbedingungen in den Ländern denkbar unterschiedlich: In den extrem brutalen Militärdiktaturen Chiles und Argentinien befindet sich das politische Kino im permanenten Widerstand, in Bolivien und Brasilien mit den ständig wechselnden Militärregimes ist die Situation zunächst weniger repressiv, Filmemacher schwanken zwischen Emigration und dem Arrangement mit den herrschenden Verhältnissen. In Mexiko beginnt der autoritäre Staat großen Einfluss auf die Filmproduktionen zu nehmen. Er kontrolliert – finanziert jedoch auch.

Die Argentinier Fernando E. Solanas und Octavio Gentino plädieren 1966 für ein „drittes Kino“, das einen eigenständigen Weg zwischen der kommerziellen Filmindustrie und dem oft sehr individualistischen Autorenkino sucht. Sie gründen die Gruppe Cine Liberación und schreiben sich „die Entkolonialisierung des Kultur“ auf die Fahnen, das Kino soll ausdrücklich der Revolution dienen. Der 1968 uraufgeführte Film La hora de los hornos (Die Stunde der Feuer) – längst ein Klassiker des revolutionären 68er-Kinos, nicht nur in Lateinamerika – wurde unter den schwierigen Bedingungen der Militärdiktatur Organias innerhalb von zwei Jahren gedreht. Der übliche deutsche Verleihtitel 'Die Stunde der Hochöfen' ist irreführend, denn er spielt nicht auf Fabriken, sondern die Feuer der Indios in Feuerland an. Der Agitationsfilm ist ein rasant montiertes Plädoyer für die gemeinsame kulturelle Identität Lateinamerikas im Kampf gegen den „Neokolonialismus“ Europas und der USA. Eine filmische Analyse Argentinien folgt ein Aufruf zur Revolution, später gibt es dazu auch praktische Handlungsanweisungen, etwa zum Bau von Molotow-Cocktails. In Argentinien durfte der Film zunächst nicht gezeigt werden, und wurde erstmals im September 1968 auf dem Festival des Neuen Films in italienischen Pesaro aufgeführt.

Auch in Brasilien entwickelt sich schon seit den Fünfzigerjahren ein „neues brasilianisches Kino“, das Cinema Nôvo. Wichtigster Vertreter ist der Regisseur und Filmemacher Glauber Rocha. Nach dem Militärputsch von 1964 werden die meisten Filmemacher durch die staatliche Zensur, die sich 1968 weiter verschärft, gezwungen, ihre Gesellschaftskritik hinter Symbolismen und Metaphern zu verstecken. Ein zentraler Film Rochas aus dem Jahr 1967 spiegelt die Orientierungslosigkeit und Verzweiflung der Intellektuellen in dieser Zeit: Terra em transe (Land in Trance).

Wir wollen nicht Eisenstein, Rosellini, Bergman, Fellini, Ford, sein, keiner davon (...), unser Kino ist neu, weil der brasilianische Mensch neu ist und die Problematik Brasiliens neu ist und unser Licht neu ist. Deshalb sind unsere Filme grundverschieden von den europäischen Kinos. (Glauber Rocha 1961)

Inga Kleinecke / Anne Huffschmid